The Rum Diary » Interviews http://rum-diary.net BOB SALA FOTOGRAFIE Thu, 16 Jul 2015 14:34:25 +0000 de-DE hourly 1 http://?v=4.2.5 Magda Wosinska http://rum-diary.net/magda-wosinska-photography/ http://rum-diary.net/magda-wosinska-photography/#comments Fri, 15 Nov 2013 18:05:34 +0000 http://rum-diary.net/?p=2447

„It sucks waiting on the bottom of a handrail.“

I officially fell in love with Magda Wosinska.

But how could you not, while watching this video. She started photographing early, took on Skate Photography later but got away from that quickly. She is inspiring on so many levels.

Buy „Bite it you scum“

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The experience of doing it http://rum-diary.net/the-experience-of-doing-it/ http://rum-diary.net/the-experience-of-doing-it/#comments Fri, 15 Mar 2013 09:18:19 +0000 http://rum-diary.net/?p=1742 Daniel Milnor

Daniel Milnor, Dokumentrafotograf und Blurb-Enthusiast spricht über seine Arbeitsweise, analoge Fotografie und sein Projektmanagement.

An seinem Mexico Projekt arbeitet er bereits seit mehr als einem Jahr und ein Ende ist nicht in Sicht. Sein Blog Smogranch ist ebenso zu empfehlen wie sein Vimeo Kanal.

Smogranch on Vimeo]]>

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The Forgotten Ones http://rum-diary.net/the-forgotten-ones/ http://rum-diary.net/the-forgotten-ones/#comments Tue, 26 Feb 2013 13:28:52 +0000 http://rum-diary.net/?p=1626 Milton Rogovin

Milton Rogovin ist bekannt für seine kraftvollen sozialdokumentarischen Portraits.

In unregelmäßigen Abständen besucht er immer wieder sein altes Heimatviertel in New York und hat über die Jahre die Entwicklung unterschiedlicher Familien mit seiner Kamera festgehalten. Ein toller kleiner Film zu diesem mittlerweile verstorbenen Fotografen, der einen mit Melancholie und Lebenslust zugleich erfüllt.

Buy From Ocelot]]>

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Fell gewordenes LSD http://rum-diary.net/reservoir-dogs/ http://rum-diary.net/reservoir-dogs/#comments Wed, 15 Aug 2012 12:05:02 +0000 http://rum-diary.net/?p=967 Look, it’s the Band! – Der Engländer rüttelte seine Freunde am Kragen und schob ihre geschwollenen Köpfe in unsere Richtung.

Die Band, das waren wir: Ich, mein Bodyguard Ray, unser Lead Tim, den Gitarrenkasten geschultert, sein Fotograf Speedy, die Kameratasche geschultert, und unser slawischer Booker Zwady, der seinen Booker-Hut schief trug. Die Bude war vollgestopft mit Engländern, die den zwei einzigen Frauen im Laden abwechselnd an der Karaoke-Maschine einheizten. Der Schweiß lief die Wände runter und tropfte von der Decke. „Das ist mein Laden.“ Tim grinste, stellte seine Gitarre auf den nassen Boden und zog sich die Jacke aus.

Doch ich muss früher anfangen. Viel früher. Ein ganzes Jahr früher, oder zwei. Und gleich etwas klar stellen: Für mich gibt es nur ein einziges Kriterium, das ein Schriftsteller erfüllen muss, um in meinen Kanon der ganz Großen aufgenommen zu werden: Nach der letzten Seite eines Buches muss ich das unbedingte Bedürfnis verspüren, mit dem Autor einen heben zu gehen. Da gibt es dann noch einige Abstufungen: Autoren, mit denen man ein paar Gläser nehmen möchte, die, mit denen man einen guten Abend verbringen will und die Königskategorie, die, mit denen man abstürzen will, hart, ein Verbrüderungsbesäufnis Dylan Thomas‘schen Ausmaßes. Aber im Grunde stelle ich keine weiteren Anforderungen an ein Buch. Und selbst das kriegen nur wenige Autoren hin. Bukowski, Thompson, Hemingway, klar, Amis, Bolaño, Nizon, gut, heute vielleicht noch Marc Fischer, Glavinic, Politycki, aber dann wird es schwach, dünn bestenfalls, wenn man die raus streicht, die sich das ganze schon durch die dicke Erdschicht mit angucken müssen.

Mit manchen Autoren geht das sogar klar, Buchmessen und Lesereisen sei Dank. Pascal Mercier war ein guter Weinpartner, gemeinsam ließen wir Pessoa wieder auferstehen, der gefühlt den halben Abend neben uns an der Bar saß, Bernhard Schlink hingegen war der Horror. Er spannte die Sehnen an seinem Hals bei jedem Schluck von seinem gepanschten Bier, als wolle er einen Trichter Formen. Ging trotzdem nichts rein. Träumen musste ich aber lange von ihm. Nichts Gutes. Der Sehnenmann. Die Bücher, ganz nebenbei, sind auch scheiße.


Aber manche Autoren bringen es auch heute noch, dass nach ihrer Lesung die Hälfte der Leute angewidert rausstürmt und die andere Hälfte ein Autogramm tätowiert haben will. Einer davon ist Tim. Er tourt durch die Welt, jeden Tag, jede Woche in einem neuen Zimmer, in einem anderen Hotel, in einer fremden Stadt, in einem entfernten Land auf einem unbekannten Kontinent; zuletzt Afrika. Dann nimmt er sich ein paar Monate, schreibt ein Buch drüber und geht auf Lesereise, wieder Zimmer und Hotels, diesmal allerdings nicht in Kairo oder Kampala sondern in Paderborn oder Bielefeld, dem Purgatorium für Weltreisende.

Das war schon vor zwei Jahren so, als er seinen „Jesus vom Sexshop“ veröffentlicht hatte und zu einer Lesung bei uns in Paderborn war. Nach seinem Auftritt gingen wir noch mit einigen Leuten in einen feinen Laden, der so gar nicht zu ihm passte. Er war der Einzige, der rauchte, also begleitete ich ihn öfters nach draußen. „Ich bin verliebt“, sagte er damals, bevor er sich eine Zigarette ansteckte, „das hört niemals auf, egal wie alt du wirst, dieses Gefühl frisch verliebt zu sein ist immer dasselbe“, er verteilte den Rauch in den klaren Paderborner Himmel und redete von seiner Zeit als Reporter in Westfalen. Doch irgendwie war das Gespräch verklemmt, unterschwellig gehemmt, was vor allem an mir lag. Am Ende gingen wir auseinander, verabschiedeten uns auf der Straße und man spürte, dass Tim noch nicht ins Bett wollte. Doch da saß ich schon im Bus. Ich brüllte vor mich hin. Fährst du nochmal zurück und klingelst im Hotel? Scheiße, dann war ich schon im Bett und Tim schon wieder von der Restwelt verschluckt. Das hatte ich mir anders vorgestellt.


Zwei Jahre später dann die Chance: Tim wieder in der Stadt, wieder in dieser Buchhandlung mit der besten Buchhändlerin der Stadt, die uns wieder einen Platz am Tisch fürs After-Lesungs Dinner reservierte. Denn dieses Mal nahm ich Verstärkung mit: Meinen Bodyguard Ray, Saufkumpan und Stichwortgeber, seines Zeichens stark am Glas und schwach im Sicherheitsgeschäft, da er bei erhöhtem Pegel ständig Probleme anzieht wie ein spleeniger Magnet.

Wir warteten vor dem Laden. „Er muss gleich kommen“, beruhigte uns die beste Buchhändlerin. Aber wir waren tiefenentspannt. Wir hatten uns verschiedene Szenarien zurecht gelegt. Wenn alles nach Plan lief, würde der Abend die verschiedenen Stufen unserer Eskalationsskala für zugereiste Nicht-Paderborner durchlaufen und dann entweder im Suff, im Chaos oder in den Armen hässlicher Frauen enden. Wir hatten also alles im Griff. Und da kamen Sie auch schon. Tim, dieses Mal in Begleitung seines persönlichen Fotografen und Lebensabschnittsgefährten aus afrikanischen Tagen, Speedy, der mal vor ihm, mal hinter ihm und mal durch eine Fensterscheibe halbgestellte Fotos von ihm schoss, mal ohne Zigarette, meistens mit. Sie gingen an uns vorbei. Tim erkannte mich nicht. Noch nicht.


Die Lesung war typisch Tim. Er erzählte ein bisschen, las ein paar Zeilen, sang ein paar Songs. Es ging um fellgewordenes LSD, Malaria, sehr schwarze Menschen, seine Lebensgefährtin, seine afrikanische Geliebte. Vintage Tim. Man hätte Stunden weiter hören können, aber im Hintergrund wedelten schon die Buchhändlerinnen, die gerade ihre dritte Überstunde begonnen hatten und mit ihren Fingern vor ihren Hälsen rumschnitten, was wohl bedeuten sollte, dass sie sich gleich umbringen würden, falls Tim noch weiter lesen sollte. „Dann würd ich sagen, wir machen erstmal ‚ne Pause und betrinken uns alle und danach lese ich noch was aus meinem neuen Manuskript“, konterte Tim. Die Buchhändlerinnen weinten, die Hälfte des Publikums jubelte, die andere Hälfte verließ fluchtartig den Laden. „Meint er das ernst, was er da erzählt?“, hörte man von einer Frau im Vorbeigehen, „der ist doch völlig zugekokst!“, meinte eine Oma mit weißem Haar und sandfarbenem Blouson zu ihrer Freundin, die gerade aus dem Wachkoma getropft war. Der Rest rieb sich die Hände und zurück blieb eine eingeschworene Masse, die bereit war, sich von Tim zu etwas Besonderem Formen zu lassen. Etwas, das einem im Gedächtnis bleibt und das Blatt, auf dem Paderborn steht, für einen Abend in der Mitte zerreißt.

Mein Bodyguard Ray und ich gaben uns noch was von dem Wein, der Abend würde gut werden. Tim fing wieder an zu lesen und entschuldigte sich sofort. Die Lesung müsse er gleich beenden, er hätte schon zu sehr überzogen. So ein Kleingeist. Aber das ist auch Paderborn, das hatten wir eingerechnet. Das würden wir später wieder gut machen. Mehr denn je, mussten wir für Paderborn gerade stehen, das war uns klar. Außerdem las er noch die beste Story aus dem neuen Buch, Die Moschee, was mich milde stimmte. Nach der Lesung brachen wir langsam auf. Ich schoss noch ein paar Fotos für die Zeitung, die dachte, sie hätte mich hergeschickt. Und auf ging’s. Wieder in denselben Laden wie vor zwei Jahren.

Es gab Schinken, Frikadellen, Datteln im Speckmantel, Lachs, Würstchen. Ein Paradies für Tim, der Vegetarier ist, es sei denn man mischt ihm was unter. „Könnten Sie mir noch ein paar Eier in die Pfanne hauen“, bat er die Kellnerin. „Tut mir Leid, unser Koch hat leider schon Feierabend gemacht.“ Sie hatte die Bitte nicht verstanden. Eier, das würden sie doch hinbekommen, dachte sich Tim. Würden sie nicht. Aber ich half ihm mit meiner Gemüsesuppe aus und einem Häufchen Käse, das ich von den verschiedenen Platten auf dem Tisch zusammenfegte. „Du warst doch vor zwei Jahren schon dabei, oder?“ Er hatte mich nicht vergessen. Genau. „Und du warst vor zwei Jahren schon verliebt, war das deine jetzige Frau, mit der du auch in Afrika warst?“ Tim überlegte. „Ja, das muss sie schon gewesen sein. Hatte ich damals schon davon erzählt?“


Die ersten zwei Weine lockerten unsere Zungen, Speedy erwies sich schnell als famoser Gesprächspartner und Bruder im Geiste, während Tim jeden Schluck von seinem Wein genoss und den Worten unseres Bookers Zwady lauschte und sich über dessen Umtriebigkeit amüsierte; Schreiben, Lesen, Videos drehen, Moderieren, unser Booker hatte alles drauf. Tim tourte dabei immer wieder zwischen Lokal und Straße, um zu rauchen. Nach dem dritten Wein nutzte ich die Gelegenheit und legte mein Herz auf die Zunge. Ein Interview würde ich gerne mit ihm machen, ihn auch gerne dafür irgendwo besuchen, auf Lesereise, egal wo. Tim war gleich begeistert. „Klar, könntest du vielleicht auch nach Wien kommen? Dann machen wir das, gehen einen trinken und nehmen uns ein bisschen Zeit.“ Klar würde ich nach Wien kommen. Ich würde nach Barcelona kommen. Wien schien mir eine kurze Strecke für einen Besuch bei Tim, wenn man seinen durchschnittlichen Lebensradius betrachtet. Ich grinste mein Hank-Moody-Grinsen. War der Plan aufgegangen?

Die Kellner setzten uns irgendwann höflich aber durchgreifend vor die Tür. Da waren wir allerdings schon warmgelaufen. Dieser Abend sollte hier nicht enden. Nicht dieses Mal. Zwady und Speedy unterhielten sich aufgeregt über Fotografenhonorare und die Ehre des Freien. Tim, Ray und ich wollten noch was trinken. Um diese Zeit war die Auswahl an guten Bars, die das Rauchen erlaubten, bestenfalls erlesen. Eigentlich blieb uns nur eine Möglichkeit: Das Fat Louis. Der Vorteil: Es lag auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Nachteil: Oh, man, das Fat Louis! Aber egal. Wir mussten es nehmen, wie es kommt. Also stiegen wir in den Keller hinab, in den die Kneipe irgendwann mal eingemauert wurde. Von unten kam uns bereits das Gegröle der japanischen Wunderkiste entgegen, oder besser das der Sadisten, die es gerade bearbeiteten. Ein Plakat verhieß nichts Gutes: Karaoke Night im Fat Louis. Und wir waren dabei. Ray, Tim, Speedy, Zwady und Ich, ein Gitarrenkoffer, drei Kamerataschen und ein Hut, schief. Tim und ich gingen voraus. „Paderborn wird einfach völlig verkannt, total unterschätzt diese Stadt“, seine Augen glänzten vor Wein und Begeisterung. Dann trat ich auch schon die Tür zum Louis auf. Der Engländer brachte seinen Spruch mit der Band, was wohl hauptsächlich an Tim’s Gitarrenkasten gelegen haben muss. Speedy, Ray und Zwady folgten, Speedy eine Riesenkamera im Anschlag. Wir machten was her.


Tim würde singen. Das stand schon fest, bevor das Fat Louis eröffnet worden war. Die Kellnerin brachte uns einen Ordner mit Songs. Tim solle sich einen aussuchen und dann auf einen Zettel schreiben und zum DJ bringen, sagte sie, stellte dazu vier Bier ab und verschwand wieder zwischen den Engländern, die uns immer noch anstarrten. Speedy machte Fotos, Zwady redete von seinen nächsten Aufträgen, Tim blätterte in seinem Ordner voll Songs und Ray und ich prosteten uns zu. Der Plan war aufgegangen. Bei Stufe vier unserer Eskalationsskala angekommen, bestellten wir gleich die nächste Runde. Viel kann man uns Paderbornern vorwerfen, aber schlechte Gastgeber, nie. Tim hatte sich einen Song ausgesucht. Johnny Cash. Ray’s favorite. Es wurde immer besser. Auch wenn sie den Cash Song dann doch nicht hatten. No Woman, No Cry wurde es letztendlich und Tim, der mittlerweile auf Whiskey umgestiegen war, betrat um 1 Uhr nachts das zweite Mal an diesem Abend seine Bühne. Die Vorzeichen waren nur ungleich anders. Die Engländer applaudierten, die Kellnerin grinste verliebt und Speedy legte mit seiner Kamera los. Said I remember when we used to sit / In the government yard in Trenchtown. Tim war gut drauf, die Engländer grölten mit, der Text hakte hier und da, aber das war allen egal. Tim schwenkte seinen Whiskey beim Singen und wunderte sich über ein paar Textzeilen. Speedy schoss einen Film durch. Danach machten wir weiter.


Rum war das nächste Getränk der Wahl, auch wenn er nicht Tim’s 7-Jahre-Regel standhielt, ging er ganz gut runter. Tim hatte Blut geleckt. Stand jetzt nur noch mit mir bei der Karaoke-Maschine rum. „Wenn du nach Wien kommst, kannst du in der Wohnung von meiner Freundin schlafen, die pennt eh immer bei mir!“, rief er mir zu, während auf der Bühne drei dicke Engländer Unchained Melody rauswürgten und vor die Füße der Kellnerin spuckten. Speedy, Ray und Zwady eskalierten derweil in dem kleinen Separee, dass wir uns schon zu Beginn reserviert hatten. Plötzlich lief Elvis, Cant help falling in love, der Song für Karaoke“, meinte Tim, „daran musst du mich erinnern, für’s nächste Mal.“ Da brüllten wir auch schon beide mit. Zwady nahm’s auf mit seiner kleinen Kamera. Der Rest ist nur noch Rausch.

Um zwei war der Spaß vorbei. In Paderborn gibt es kaum Hotels mit 24 Stunden Rezeption. Wir brachten die beiden zu ihrem Gasthaus, verabschiedeten uns. „Paderborn wird völlig verkannt“, sagte Tim nochmal. Und verschwand mit Speedy auf seinem Zimmer. Ray und ich schauten uns ungläubig an. Und tun es immer noch. Jede Woche. Denken wir an diese eine Nacht außerhalb unserer Biografie. Und stoßen an, auf Helge, auf Frank, auf Zwady, mit Hut. Und leben unser Leben, im Schatten aller großen Abende dieser Welt. Aber was soll ich schon sagen. Ich bin nur ein junger Witz. Und schlafe ein.

*Hinweis – Veröffentlichung wurde genehmigt von Helge:

Nicht schlecht, Herr Specht.
Alles okay, Marvin, und der Abend war wirklich so…
Liebe Grüße
Tim

 

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Lück und Locke in Europa http://rum-diary.net/luck-und-locke-in-europa/ http://rum-diary.net/luck-und-locke-in-europa/#comments Wed, 15 Aug 2012 10:43:27 +0000 http://rum-diary.net/?p=814 Locke schlägt an, sobald man am Fenster des blauen VW-Busses vorbei läuft. Wenn man zuvor Oliver Lücks Neues vom Nachbarn: 26 Länder, 26 Menschen gelesen hat, weiß man aber: Locke bellt, das liegt ihr als Hofhund (Hovavart) im Blut, nur aus Prinzip.

20 Monate war Journalist Lück mit seiner Hündin Locke in Europa unterwegs. Als sie losfuhren war sie noch ein Welpe, doch „mit der Zeit wurde Locke immer größer und der Bus immer kleiner“. Später diente Locke mehr und mehr als Wachhund und Gesprächspartner für Lück, der für seine Kolumne bei Spiegel Online auf der Suche nach Geschichten war, Geschichten aus Europa, Geschichten von und über Menschen aus verschiedensten Ländern. „Zu Anfang bin ich einfach losgefahren“ sagt Lück, „und habe geguckt, wen ich treffe. Damals hatte ich auch noch meine Kolumne ‚Lück und Locke‘, ich wollte zwei Texte pro Monat liefern. Ich war also auf der Suche, was ja auch den eigentlichen Grund ausmacht, weshalb man sich auf so eine Reise begibt. Man möchte neue Sachen kennen lernen, fremde Länder und Regionen. Aber im Endeffekt läuft es doch immer wieder auf die Menschen hinaus, die man trifft. So ist es immer gewesen. So verbindet man spezielle Orte immer auch mit bestimmten Menschen, die diesen Ort für einen ausmachen.“

„Der Journalist fährt immer mit.“

Die Reise, die er schon länger geplant hatte, war für Lück eine Mischung aus Urlaub und Arbeit. Lück sagt: „Der Journalist fährt immer mit.“ Das Schreiben diene in gewisser Weise als die direkte Verarbeitung seiner Erlebnisse, auch wenn er unterwegs nur die Kolumnen schrieb, die er für Spiegel Online lieferte. Denn auch das gehörte zum Plan: Die Reise im Anschluss noch einmal zu machen. Durch die Interviewmitschnitte und Notizen und das Verfassen der Texte die Strecke noch einmal gedanklich abzufahren und neu zu erleben.

Die genaue Route entstand spontan und an den Jahreszeiten ausgerichtet. „Ich wusste, dass es erstmal Richtung Tschechien geht, Richtung Osteuropa“, sagt Lück, „wobei schnell klar war, dass ich dann Richtung Norden fahren wollte, um den Sommer dort noch zu verbringen. Wir haben keine Heizung im Bus und so haben die Jahreszeiten die Route mehr oder weniger vorgegeben.“ Dazu waren nur wenige der Interviews im Vorfeld geplant, Lück ließ sich auch da überraschen: „Ich habe die Menschen gefragt, wer im Dorf vielleicht eine interessante Geschichte zu erzählen hätte. Manchmal kam man auch durch die Konstellation ins Gespräch, ich und Locke allein im VW Bus unterwegs, das interessierte viele, die dann fragten, was ich mache. Einige Interviewpartner standen auch schon vorher fest. Das war aber nie so genau geplant, dass ich gesagt hätte ‚in fünf Monaten bin ich bei dir, dann können wir das Interview machen‘, das lief alles mehr oder weniger spontan.“

Eine Geschichte aus jedem Land

Schnell merkte Oliver Lück, dass die Gespräche, die er führte, den Rahmen seiner monatlichen Kolumnen sprengten. Einige seiner Gesprächspartner ermutigten ihn zu einer neuen Idee: „Relativ schnell kam der Gedanke und auch die Aufforderung, ‚mach doch ‚nen Buch draus‘. Die Geschichten, die ich fand und die Menschen, denen ich begegnete, waren so interessant und konnten so viel erzählen. Und das Konzept stand relativ schnell: Eine Geschichte aus jedem Land, mit meiner ganz eigenen geografischen Chronologie.“

Susanne Wiigh-Mäsak will die Bestattungsindustrie revolutionieren

Zu den meisten seiner Gesprächspartner hat Lück immer noch Kontakt, „das geht von einer Mail pro Monat bis zu mehreren die Woche“, erzählt er, „gerade jetzt wo das Buch herauskommt.“ Auch Susanne aus Schweden schreibt ihm regelmäßig. Mit einer völlig neuartigen ökologischen Bestattungsmethode, die die Umwelt schont und die Würde des Menschen respektiert, stößt sie derzeit auf weltweites Interesse. Ihre Methode, auch Promession genannt, hat sie auf der Basis von Kryotechnik entwickelt. Dabei wird der Körper mit flüssigem Stickstoff schockgefrostet und anschließend die Feuchtigkeit entzogen. Er zerfällt zu einem 100 Prozent biologisch abbaubaren Granulat, das in einer kompostierbaren Urne vergraben und innerhalb weniger Monate zu Humus werden kann. „Ein komplizierter Prozess“, sagt Lück, „doch das Komplizierteste daran ist die politische Ebene. Susanne bekommt heftigen Gegenwind aus der Bestattungsindustrie. Das verwundert nicht. Es gibt bereits Interesse aus unzähligen Ländern auf der ganzen Welt. Susannes Verfahren wird die Bestattungsindustrie auf den Kopf stellen. Klar, dass da einige etwas dagegen haben.“

Chilibauer André Curutchet liebt das Gefühl, wenn die Schote zurückbeißt.

So faszinierend Lücks Geschichten sind, so unterschiedlich sind sie auch. Da gibt es den Chilibauern aus dem Baskenland, der das Gefühl liebt, „wenn seine Schoten zurückbeißen“, den Bürgermeister aus England, der zuvor als Affe verkleidet seinem Fußballclub durch die Provinzen nachreiste und sich nur aus einer Bierlaune heraus zur Bürgermeisterwahl aufstellen ließ, den Schweizer, der in den Bergen indische Filmteams betreut, die das Bergpanorama für ihre massenproduzierten Bollywood-Streifen nutzen. Lück findet in jedem Land eine faszinierende Lebensgeschichte, manchmal auch Menschen, die nicht nach Geschichten suchen wie er, sondern auf die Geschichten warten und deshalb selbst zu einer werden: Biruta Kerve sammelt an der Küste Lettlands alles was die Ostsee ihr vor die Haustür spült. Darunter sind mittlerweile 35 Flaschenpostbriefe, die sie sorgfältig abheftet und katalogisiert, um sie dann zu verstauen. „Das ist ja das erstaunliche an dieser Geschichte“, sagt Lück, „sie hat nie einen der Briefe beantwortet. Sie sammelt nur und zeigt sie jedem, der sie sehen will.“ Auch Birutas Garten ist mittlerweile zur Attraktion geworden, ihre bunten Sammelschaften aus dem Meer haben etwas von einer skurrilen Kunstausstellung.

Flaschenpost für Biruta Kerve

Viele der Lebensgeschichten, die Lück in seinem Buch erzählt, sind zudem angetrieben von einer ungebrochenen Lebensromantik. Romantik im Sinne von sehnsüchtiger Verfolgung eines fast unerreichbaren Ziels. „Ich würde das nicht Romantik nennen“, widerspricht Lück, „eher Leidenschaft. Leidenschaft für eine Sache, ein Ziel. Diese Leidenschaft ist es ja gerade, die eine Geschichte oder einen Menschen interessant macht, so dass man über ihn schreiben möchte.“ Das bleibt das angenehme an Lück und seinen Texten. Wenn man an den Mann denkt, der alleine mit seinem alten VW-Bus über die Straßen Europas streicht, könnte man ein sentimentales Buch erwarten, gespickt mit Momenten der Selbsterfahrung und Selbstbeweihräucherung. Lück allerdings, nimmt sich raus aus seinen Geschichten, tritt nur als Erzähler auf, als Interviewer, der sich mit faszinierter, aber genau so disziplinierter Neugier auf jeden seiner Gesprächspartner einlässt. Dadurch ist „Neues vom Nachbarn – 26 Länder, 26 Menschen“ persönlicher geworden als die meisten Ich-Reportagen-Sammlungen. Gerade weil man den 27. Menschen nur zwischen den Zeilen findet.

LueckundLocke.de

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Aufnahmen von Hunter und Johnny http://rum-diary.net/aufnahmen-von-hunter-und-johnny/ http://rum-diary.net/aufnahmen-von-hunter-und-johnny/#comments Tue, 31 Jul 2012 09:37:07 +0000 http://rum-diary.net/?p=1060

Alte Aufnahmen zur Entstehungsgeschichte von „The Rum Diary“ und von Szenen mit Johnny Depp und Hunter auf der Suche nach Produzenten für ihren Film. (10 Videos)

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In No Great Hurry http://rum-diary.net/in-no-great-hurry/ http://rum-diary.net/in-no-great-hurry/#comments Fri, 20 Jul 2012 14:09:10 +0000 http://rum-diary.net/?p=1032

Trailer zur Dokumentation „In No Great Hurry“, über den Fotografen Saul Leiter. „13 Lessons in Life with Saul Leiter“ lautet der Untertitel und der Trailer hat mich einfach begeistert. Man kann dem Film noch 42 Stunden helfen, indem man die Indiegogo-Kampagne finanziell unterstützt. Ich werde das vielleicht noch tun. Gefunden bei Martin auf visuellegedanken.de.

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Ai Wei Wei – So Sorry (engl. subtitles) http://rum-diary.net/ai-wei-wei-so-sorry-engl-mit-untertiteln/ http://rum-diary.net/ai-wei-wei-so-sorry-engl-mit-untertiteln/#comments Thu, 14 Jun 2012 14:41:17 +0000 http://rum-diary.net/?p=882

Diese Stunde sollte man sich nehmen. Beklemmend.

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Interview mit Pedro Mairal http://rum-diary.net/interview-mit-pedro-mairal/ http://rum-diary.net/interview-mit-pedro-mairal/#comments Tue, 10 Apr 2012 11:49:33 +0000 http://cloud-gate.de/rumdiary/wordpress/?p=214 Eine Jury um Adolfo Bioy Casares verlieh Pedro Mairal als eine der originellsten Stimmen der lateinamerikanischen Literatur den Premio Clarín. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien zuletzt der Roman Eine Nacht mit Sabrina Love (2002), der auch verfilmt wurde. Im Interview mit mir spricht er über seine literarischen Anfänge, eine neue Generation von Schriftstellern und ungewöhnliche Recherchemethoden für seine Romane.

Wilde Leser: Es sind acht Jahre vergangen, seit der Knaur Verlag die Übersetzung deines ersten Romans „Eine Nacht mit Sabrina Love“ für die deutschen Leser zugängig gemacht hat. Erst im August erscheint eine zweite Übersetzung im Hanser Verlag. Vielleicht rufst du dich den Lesern erst noch einmal ins Gedächtnis und erzählst ein wenig von deinen Anfängen, deinen Vorbildern, deinen Schreibritualen!

Pedro Mairal: Als ich damals von der Uni abging, habe ich mich nicht getraut es meinen Eltern zu erzählen (Ich war 18 und dachte, ich wolle Arzt werden), also tat ich jeden Morgen so, als ginge ich zu meinen Kursen, verbrachte den Morgen jedoch in der Cafeteria. Ich las viel und begann mein eigenes Zeug zu schreiben. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich eine Geschichte „anders“ las, ich begann Kurzgeschichten zu lesen wie ein kleines Kind, das ein Spielzeug auseinandernimmt, um zu sehen wie es gemacht wurde. Ich las Cortázar, Borges, Salinger und versuchte ihre versteckten Tricks zu finden. Zuvor war ich eigentlich mehr ein Leser von Gedichten. So kommen meine anderen Einflüsse von Dichtern wie Neruda, Vallejo, Dylan Thomas.

Über meine Schreibgewohnheiten: Am Anfang konnte ich noch Gedichte auf kleinen Notizblöcken im Bus schreiben, doch dann brauchte ich einen Computer und meine Ruhe, um Prosa zu schreiben. Jetzt brauche ich Deadlines, um meine Arbeit abzuliefern: Kolumnen für Zeitungen, Artikel, Kurzgeschichten für Magazine, Skripte… ich schreibe nur noch, wenn ich kurz davor bin, einen meiner zahlreichen Jobs zu verlieren.

Wilde Leser: Es heißt, dass du einige deiner Charaktere online entwirfst und in sozialen Netzwerken testest!

Pedro Mairal: Ich habe eine Figur erfunden, die Porno-Sonette schreibt. Und, ebenfalls unter falschem Namen, schrieb ich in einem Blog als Frau. Es war eine sehr interessante Übung, da niemand wusste, dass ich dahinterstecke. Ich musste also die Illusion aufrecht erhalten. Einige Männer wollten sich sogar mit mir treffen. Ich habe mich nie zurückgemeldet. Die von mir erfundenene Frauenfigur wurde bereits in einer Anthologie für argentinische Schriftstellerinnen veröffentlicht.

Aber Schriftsteller machen das schon seit Euripides so. Ich denke das letzte Kapitel von James Joyce Ulysses, Molly Blooms Monolog, ist das beste Beispiel solcher „Cross-Dressing-Literatur“.

Wilde Leser: Kannst du dir vorstellen, irgendwann den Roman hinter dir zu lassen und nur noch in digitalen Medien zu veröffentlichen?

Pedro Mairal: In gewisser Weise tue ich das jetzt schon. Mein nächstes Buch wird den Titel Der Roman, den ich nicht schreibe tragen. Ich habe aber auch nicht vor, alles niederzureißen. Vielleicht kehre ich schon sehr bald zum Roman zurück.

Wilde Leser: Im August wird mit Das fehlende Jahr des Juan Salvatierra ein zweiter Roman in Deutschland veröffentlicht. Was hat sich in deinem Leben und Schreiben verändert seit der Veröffentlichung von Eine Nacht mit Sabrina Love?

Pedro Mairal:
Die Welt hat sich sehr verändert in den letzten zehn Jahren. Heutzutage schreiben viele Schriftsteller online, völlig high von der Breitbandverbindung, die direkt in die Venen injeziert wird. Ich schreibe viel auf Blogs und Websites und denke Literatur auf andere Art. Seit 2005 veröffentliche ich fast alles online, bis auf meine Romane. Kurzgeschichten, Gedichte, Artikel… Und ich mische das ganze mit Videos und Bildern, Collagen und manchmal sogar Musik. Worte sind immer die wichtigste Art der Kommunikation für mich, aber mir fällt auf, dass die Literatur durch das Internet immer mehr in Atome zerfällt, die sich in viele Richtungen ausbreiten. Literatur wird ein bisschen anonymer, und schneller, auch kürzer. Das Beste daran ist, dass die Leute nicht denken, online zu schreiben wäre wirklich Literatur, so schreiben sie generell nicht so steif, flüssiger und natürlicher. Ich wünschte, sie würden das beibehalten.

Wilde Leser: Dein erster Roman Eine Nacht mit Sabrina Love hat hat einen Preis als bester Roman gewonnen und wurde verfilmt. Wie denkst du heute über dein Debut?

Pedro Mairal: Der Roman wurde verfilmt und in sechs Sprachen übersetzt. Ich mag Eine Nacht mit Sabrina Love. Es ist eine dieser Geschichten, die ihr eigenes Leben haben, ihre eigene Stärke. Es fühlt sich fast so an, als gehörte sie gar nicht mehr zu mir. Es ist ein kurzer Roman, oder eine Novelle, wie sie es nennen, über einen Teenager, der eine Nacht mit einem Pornostar gewinnt. Die Idee kam mir, als ich im Fernsehen eine dieser hübschen Moderatorinnen sah, die ein Gewinnspiel moderierte, bei dem man zwei Tickets in die Karibik gewinnen konnte. Mein hormonaler Gedanke war: Sie sollte eine Nacht mit sich selbst verlosen. Dann dachte ich, sowas wäre nur möglich, wenn sie einer dieser Porno Stars wäre, die eine eigene Show im Kabel-Programm hat. Einige Zeit später fiel mir auf, dass das Ganze eine Geschichte werden könnte, wenn der Gewinner der Nacht mit einem Porno Star ein jungfräulicher Teenager wäre, der weit weg in einem kleinen Dorf lebt. Das war dann die Geschichte: Ein Teenager, der die Sendung schaut und bei dem Gewinnspiel siegt, dann der Road-Movie Trip per Anhalter in die Hauptstadt, dann das Treffen mit Sabrina Love und der großen Stadt. Als ich das vor meinem inneren Auge sah, wusste ich, dass ich etwas hatte, über das ich schreiben konnte. Es ist ein Bildungsroman.

Wilde Leser: Wenn man deine Romane liest, fällt vor allem deine Fähigkeit auf, Lücken für deine Leser zu lassen, die sie selbst füllen müssen. Wie wichtig sind die Sachen, die du nicht schreibst, für deine Romane?

Pedro Mairal: Ich glaube daran, dem Leser einen leeren Stuhl zu hinterlassen. Ich mag es nicht, alles zu erklären. Ich denke, der Leser beendet die Geschichte, erfindet sie in seinem Kopf. Es gibt eine Zeichnung von Picasso, auf der er eine Blumenvase zeigt. Doch nur eine der Blumen wird voll dargestellt, die restlichen werden nur angedeutet. Als Betrachter vervollständigst du die Zeichnung in deinem Bewusstsein, du siehst alle Blumen, die Blumenvase entsteht in deinem Kopf. In gewisser Weise ist man in diesem Moment der Autor von ihr. Aber um das so zu machen, musst du dem Leser vertrauen. Wenn du ihn bevormundest, drückst du ihn beiseite.

Wilde Leser: Argentinien wird der Ehrengast der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt sein. Was denkst du als Autor darüber?

Pedro Mairal: Es gab eine Kontroverse bezüglich der argentinischen Organisatoren, die Evita, Maradona, Gardel and Che als nationale Ikonen für die Buchmesse deklariert hatten. Nachdem sie viel Kritik eingesteckt und Druck bekommen hatten, fügten sie noch Borges und Cortázar hinzu. Abgesehen davon, ist es eine gute Möglichkeit für viele argentinische Schriftsteller, ihre Arbeiten zu präsentieren und für Verleger, weniger bekannte Autoren aus Lateinamerika herauszuholen und einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Ich denke, ich werde auch dort sein.

Wilde Leser: Denkst du, dass es ein stereotypes Bild des Argentiniers in Europa gibt?

Pedro Mairal: Ich bin mir nicht sicher, wie der stereotype Argentinier für Europäer aussieht. Aber ich bin mir sicher, dass das Bild recht treffend sein wird.

Wilde Leser: Wo siehst du dich selbst vor dem Hintergrund der argentinischen Literatur?

Pedro Mairal: Ich sehe mich selbst als Teil einer Generation, die sich nach keinem Manifest richtet, die keine Angst davor hat, mit neuen Technologien herumzualbern. Ich sehe neue Schriftsteller auftauchen und beginne mich ein wenig verdrängt zu fühlen vom Status des jungen Schreibers. Ich mag es und brauche es, Leute in meinem Alter und jüngere zu lesen, um zu sehen, was die so machen. Borges sagte, dass niemand seinen Zeitgenossen etwas schuldig sein will, aber bei mir ist das anders, ich schulde ihnen viel. Ich werde stark von anderen Schriftstellern meines Alters beeinflusst, weil ich immer schon ein wenig altmodisch war, unzeitgemäß, zumindest fühlte ich mich so. Das Lesen von zeitgenössischen Dichtern und Romanciers hält mich wachsam. Ich will sehen, wie sie über die Zeit schreiben, in der wir leben.

Wilde Leser: Wir auf www.wilde-leser.de besprechen das Werk Roberto Bolaños sehr detailliert, Roman für Roman, Geschichte für Geschichte. Was denkst du über ihn? Hatte er irgendeinen Einfluss auf dein Schreiben?

Pedro Mairal: Ich sehe Bolaño nicht als literarische Vaterfigur, mehr als einen Onkel, das schon eher. Ein literarischer Onkel. Ich mag die Art, wie er die lateinamerikanische Literatur dachte. Besonders mag ich Der unerträgliche Gaucho und Die wilden Detektive. Er war einer der ersten Schriftsteller, der über eine literarische Generation schrieb in Die wilden Detektive. Ich interessiere mich für die Art und Weise in der er über Mexiko schreibt, und die Art und Weise in der er die obskuren Mächte sah, die in der chilenischen Kultur gewirkt haben.

Wilde Leser: In deinem Roman Das fehlende Jahr des Juan Salvatierra, der bald in Deutschland erscheint, schreibst du über eine sehr romantische Künstlerfigur. Einen Maler, der sein ganzes Leben auf kilometerlange Leinwände malt, ohne dafür in irgendeiner Form Anerkennung zu erhalten. Beim Lesen des Romans konnte man viele Analogien zu anderen Künstlern ziehen, vor allem Bolaño flanierte einem öfters durch die Gedanken. Gab es einen realen Künstler, der als Vorlage für Salvatierra diente, oder vielleicht mehrere?

Pedro Mairal: Juan Salvatierra verkörpert etwas, das ich gerne wäre, ein Künstler der überhaupt keine Anerkennung braucht, er kann sein ganzes Leben aufmalen, nur des Spaßes und der Befriedigung wegen. Sein endloses Gemälde ist auf eine Weise eine Autobiographie, bei der er selbst nicht präsent ist. Doch ich bin nicht so. Ich brauche die Rückmeldung, und ich heiße gelegentliche Anerkennung meiner Arbeiten sehr willkommen. Mit einer Gruppe von Dichtern, Freunden von mir, arbeite ich gerade daran, das vollständige Werk eines Dichters namens Cesar Mermet ans Licht zu bringen, der zu Lebzeiten nie etwas veröffentlichten wollte, aber nie aufgehört hat zu schreiben. Er war ein Genie. Vielleicht ist einiges von seiner Einstellung gegenüber dem öffentlichen Leben in meine Figur des Salvatierra geflossen. Zumindest wünsche ich mir das.

Das Interview wurde geführt und übersetzt von Marvin Kleinemeier

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Ein Interview mit Heinrich von Berenberg http://rum-diary.net/ein-interview-mit-heinrich-von-berenberg/ http://rum-diary.net/ein-interview-mit-heinrich-von-berenberg/#comments Thu, 19 May 2011 13:38:05 +0000 http://cloud-gate.de/rumdiary/wordpress/?p=208 Heinrich von Berenberg
(c) Cordula Giese

Heinrich von Berenberg entdeckte Roberto Bolaño für den deutschsprachigen Raum. Mit seiner Übersetzung von „Die Naziliteratur in Amerika“ ebnete er den Weg für die weiteren Werke Bolaños, auch wenn der kommerzielle Erfolg zunächst ausblieb. Im Gespräch mit Wilde-Leser.de spricht er über die Umstände der Veröffentlichung, die Resonanz in Deutschland und den aktuellen Hype um die nachgelassenen Werke Bolaños.

Wilde Leser: Wie kam es zu Ihrem ersten Kontakt mit dem Werk Bolaños?

Heinrich von Berenberg: 1995 gab mir eine Kollegin „Estrella distante“ zu lesen, mit der Frage, ob ich es eventuell übersetzen wollte. Ich las den Klappentext, sah, dass es sich um ein Buch über Schriftsteller handelte und gab es ihr zurück mit der Bemerkung, solche egozentrischen Bücher interessierten mich nicht. Ein halbes Jahr später bat mich der Verleger Jorge Herralde, ein guter Freund, mir doch bitte trotzdem das Buch anzuschauen. Ich sah nochmals hin, fand es wieder nicht überzeugend, las aber die Kurzbiographie des Autors und erfuhr, dass er ein Buch mit dem Titel „La literatura Nazi en América“ geschrieben hatte. Das interessierte mich. Ich ließ mir das Buch kommen, las es während einer Zugfahrt von München nach Berlin und rief noch vom Bahnhof aus meine Freundin Antje Kunstmann an, sie solle bitte alles von diesem Autor kaufen, was es gäbe.

Wilde-Leser: Wie kam es dann zu der Entscheidung, ihn zu übersetzen? Und warum war es zuerst „Die Naziliteratur in Amerika“?

Heinrich von Berenberg: Mich hat die exzentrische Struktur dieses Buches begeistert. Und mir gefiel der unverschämte Ton. Außerdem war es vollkommen klar, dass hier ein Schriftsteller am Werk war, der zugleich die komplette lateinamerikanische Tradition beherrschte und sich souverän über sie hinwegsetzte.

Wilde Leser: Woher, denken Sie, kommt der starke Bezug Bolaños zum deutschsprachigen Raum? Orte, Literatur, Figuren, vor allem auch in seinen anderen Werken.

Heinrich von Berenberg: Der starke Bezug zum deutschen Raum hat zwei Gründe. Der erste ist phonetischer Natur: Als ich mit Roberto die ersten Lesungen in Deutschland machte, konnte ich immer wieder erleben, dass er von der vollkommen seltsamen phonetischen Struktur der deutschen Sprache begeistert war. Er fand das einen Witz. Konnte sehr darüber lachen. Seine Kenntnis der deutschen Literatur war so lückenhaft wie die Übersetzungen ins Spanische. Von der zeitgenössischen kannte er nichts, aber das interessierte ihn auch nicht so. Thomas Bernhard, der von Miguel Sainz großartig übertragen worden ist, hatte er gelesen. Seine zweite wichtige Quelle für alles Deutsche war glaube ich Lloret de Mar und überhaupt der Billig- und Freak-Tourismus an der Costa Brava, der Roberto immer viel mehr interessierte als Touristen, die sich Kirchen und alte Steine anschauen wollen. Es gibt einen sehr schönen Text über Blanes, seinen Heimatort, in dem das vorkommt. Während seiner Zeit als Camping-Wächter ist er viel in Kontakt mit diesen Leuten gekommen. In dem nachgelassenen Roman „El tercer Reich“ läßt sich wahrscheinlich eine Menge davon entddecken. Ich selbst habe ihn nicht gelesen.

Wilde Leser: Welche Eigenarten fanden sich beim Übersetzen von Bolaños Prosa? (Christian Hansen erzählte mir z.B., dass er erst ganz unbegeistert beim Übersetzen von „Stern in der Ferne“ war, bis er in einen gewissen Fluss kam und nicht mehr auf den einzelnen Satz schaute, sondern meisterhaft skizzierende Abschnitte wahrnahm – Daumenkino-Prosa hat er es damals genannt)

Heinrich von Berenberg: Christian Hansen beschreibt das glaube ich ganz gut. Es ist ja bei Bolaño immer ganz eigenartig, dass es keine strukturellen oder inhaltlichen Pointen bei ihm gibt, oder wenn, dann versteckt. Mir ist als allererstes, noch während der Zugfahrt, diese Prosa wie eine ganz eigene Musik erklungen. Und als Musik habe ich auch versucht, das zu übersetzen. Es gibt immer wieder dramatische Sprachinszenierungen, die auf dem Weg der Sprache zu einer Pointe oder einem Höhepunkt oder wie auch immer gelangt (eben nicht durch die Konstruktion!). das sind dann plötzlich diese langen Sprachinszenierungen wie z. B. die Transatlantikreise von Padre Urrutia in „Nocturno de Chile“, der Schluss von „Amuleto“ , die fast religiöse Apotheose der lateinamerikanischen Jugend gegen ihre Peiniger. „Die wilden Detektive“ sind voll von solchen Inszenierungen. Sie sind eigentlich das bestimmende formale Element. Jedes einzelne Kapitel hat seine eigene Musik. In einigen Fällen immer wieder kehrend (Armando Salvatierra). Man mußte viel „erfinden“, eines der größten Vergnügen, an die ich mich bei dieser Arbeit erinnern kann.

Wilde Leser: Hatten Sie persönlichen Kontakt zu Bolaño, während Sie sein Buch übersetzt haben?

Heinrich von Berenberg: Schon 1997 bin ich zum ersten Mal nach Blanes gefahren, um Roberto über alles Mögliche zu befragen, was mit der „Nazi-Literatur“ zusammenhing. Dann kam er mehrmals nach deutschland. Wir haben Lesungen gemacht; er kam uns besuchen. Wir hatten Kinder, er selbst auch. Das gefiel ihm sehr. Er war überhaupt einer der freundlichsten Menschen, die ich kennen gelernt habe – im Gegensatz zu den schwarzen Legenden, die über ihn im Umlauf sind. Das letzte Mal habe ich ihn glaube ich 2001 im Sommer getroffen und in Blanes besucht.

Wilde Leser: Gibt es vielleicht interessante Anekdoten aus dieser Zusammenarbeit zu berichten? Vielleicht auch von Besuchen Bolaños in Deutschland?

Heinrich von Berenberg: Dazu braucht man nur die kleine Skizze „Berlin“ zu lesen. Alles, was darin steht hat sich so zugetragen.

Wilde Leser: Welche Resonanz erzeugte das Buch bei Veröffentlichung in Deutschland?

Heinrich von Berenberg: „Die Nazi-Literatur“ wurde sehr gut rezensiert, zum Teil enthusiastisch. Verkauft wurden keine 1000 Stück.

Wilde Leser: Was ist das besondere an diesem Buch, vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Leser jetzt erst darauf aufmerksam werden, da es wieder zugänglich gemacht wurde? Diese Leser haben ihren Weg meist über 2666 zu Bolaño gefunden, haben also den Einstieg über das Ende gewählt.

Heinrich von Berenberg: Das Besondere an diesem Buch ist die Tatsache, dass hier von Schriftstellern die Rede ist, von Poeten, von Leuten, die für Bolaño am interessantesten waren. Es sind alles Kollegen, und so schreibt er auch über sie. Es ist nicht einer dabei, dem nicht in gewisser Weise, ganz entfernt, doch die Zuneigung des Autors gehört, obwohl sie alles „Nazis“ sind, das heißt, obwohl sie alle entweder rechtsradikal, rassistisch, terroristisch etc sind. Die einzige Ausnahme ist Ramirez Hoffmann, das letzte Porträt; da wird es plötzlich bitter ernst und der Spaß hört auf. Wir sind in der Gegenwart angekommen, und die Fortsetzung wurde dann ja auch „Estrella distante“.

Wilde Leser: Was denken Sie generell über die Entwicklungen der letzten Jahre, den regelrechten Hype um Bolaño, der zu Lebzeiten vielleicht gerade diesen Erfolg gebraucht hätte, um weiterzuleben?

Heinrich von Berenberg: Ich sehe den Hype überwiegend positiv. Anscheinend ist er ja nicht zustande gekommen, weil jeder das Buch haben will und es dann doch keiner liest, wie meist bei Bestsellern, sondern die meisten haben dieses Buch mit angehaltenem Atem gelesen. Es ist natürlich immer die übliche Besserwisserei der vielen Spezialisten dabei, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Aber da kann man nichts machen. Und es hat ja auch sein Gutes. Was mich ein bißchen stört ist die Tatsache, dass jetzt auch noch der allerletzte Fetzen, der sich auf seinen nachgelassenen Festplatten findet, als überaus wertvolles Teril veröffentlicht werden muss. Dabei ist wirklich nicht alles gleichwertig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Roberto Romane wie „La pista de hielo“ und vielleicht auch „El tercer reich“ als unwichtige Vorläufer betrachtet hätte. Aber wer weiß. Das Traurigste daran ist natürlich die Tatsache, dass er selbst nichts mehr davon hat.

Das Interview führte Marvin Kleinemeier

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