The Rum Diary http://rum-diary.net BOB SALA AND HIS COSMIC JOKES Tue, 08 Jan 2019 15:33:18 +0000 de-DE hourly 1 https://?v=5.0.3 http://rum-diary.net/wp-content/uploads/2018/10/cropped-Cosmic-Jokes-Logo-32x32.jpg The Rum Diary http://rum-diary.net 32 32 61367910 Schaum http://rum-diary.net/schaum/ http://rum-diary.net/schaum/#respond Tue, 08 Jan 2019 15:01:32 +0000 http://rum-diary.net/?p=6572 Die Fetzen hängend aufgeleint
sind Worte nur im Wind noch eins
Wut schwimmt nun auf Böen heim
und Nacht bricht übers Knie herein

Die Tropfen punkten Fenster blind
wild tanzen leere Stunden 
ich bleib zurück als Narbe
dieser schäumend schönen Wunden

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Ein Brief http://rum-diary.net/ein-brief/ http://rum-diary.net/ein-brief/#comments Sun, 06 Jan 2019 15:02:36 +0000 http://rum-diary.net/?p=6560 Continue reading Ein Brief ]]> Ich werde es müde, mit Menschen über Online-Plattformen zu reden, Menschen, die darin den einzigen Wert ihrer Arbeit zu finden suchen. Paul Auster hat mal über das Schreiben gesagt (sinngemäß): Mit 20 ist jeder ein Schriftsteller, bei den Dreißigjährigen sind es schon sehr viele weniger, mit 40, 50 schreiben nur noch die, die nicht anders können. So werden auch die Fotografen ausdünnen, die nur für die Online-Welt Fotos machen. Die Leute mit 2K Followern sehnen sich die 5K herbei, die mit 5 die 10, 20 die 50, 50 die 100 und auf dem Weg fällt einem plötzlich auf, wie egal es ist und in welche Abhängigkeit man sich zu einer Plattform begeben hat, die in einem nichts sieht außer Werberelevanz. Was bleibt, sind die Begegnungen, die daraus entstanden sind. 

Franz Kafka hat 1912 mit knapp 30 seinen ersten Kurzgeschichtenband „Betrachtung“ herausgebracht. Auflage: 800 Stück. Kurz vor seinem Tod kam der Band „Ein Landarzt“ heraus. Kafka war in Literaturkreisen nun schon bekannter, mehr als 10 Jahre nach der ersten Veröffentlichung. Auflage: 2000 Stück. Er hat über Jahre hunderte Briefe an seine Freundinnen Felice Bauer und später Milena Jesenská geschrieben, die zum Schönsten gehören, das jemals verfasst wurde. Empfänger: 1. Seine Tagebücher und Notizhefte sind noch heute mein ständiger Begleiter. Leser zu Lebzeiten: 0. 

Alle Künstler sind eitel.

Kafka hörte nie auf zu schreiben. Arbeitete bei einer Versicherungsgesellschaft von morgens bis nachmittags, lief nach Hause, schlief eine Stunde, ging spazieren, aß etwas Käse und Nüsse zu Abend und wenn alle Geräusche im Hause verstummt waren, schrieb er von 10 Uhr bis 3 Uhr nachts oder länger in seine Hefte und rannte morgens wieder zu seiner Versicherung, sich selbst stets sein schärfster Kritiker. Alle Künstler sind eitel. Und der bloße Akt des Veröffentlichens ist dafür Beweis genug. Wir müssen uns glücklich schätzen, so einfach wie heute so viele Menschen erreichen zu können. Und trotzdem hat nichts davon Wert ohne die konstante, manchmal mühsame Arbeit am Werk. Denn wie oft ist das, was wir für uns fotografieren, für uns schreiben oder malen, im Rückblick weitaus bedeutender als das, was wir für andere erschaffen? 

Jack Kerouac schrieb Roman um Roman, bevor er 1957 mit “On the Road” endlich einen Erfolg hatte. Da war er 35 und sah aus wie 45, weil er tatsächlich die meisten Geschichten aus seinen Roman selbst gelebt hat und danach scheuchten sie ihn durch alle Talk Shows, wo er jedem von der Schriftrolle berichten durfte, auf der er “On the Road” in wenigen Wochen zusammengetippt hatte. Die Geschichte trug zum Mythos bei und dass er zuvor unzählige Versuche, den Roman zu schreiben in den Sand gesetzt hatte, interessiert danach niemanden. Nach “On the Road” wurden endlich auch seine früheren Romane nach und nach an die Öffentlichkeit gebracht. Die Verkaufszahlen sanken jedoch stetig und er konnte nie wieder an den alten Erfolg anknüpfen. Trotzdem schrieb er weiter, bis er sich irgendwann zu Tode soff.

Man hat doch zu viel von sich auf seine Gebilde übertragen

Öffentlichkeit ist ein wichtiges Element im Schaffensprozess. Peter Handke schrieb einmal in einem Brief an seinen Verleger Siegfried Unseld, nachdem eines seiner Theaterstücke großen Anklang fand:

“Man hat doch zu viel von sich auf seine Gebilde übertragen und lebt erst richtig auf, wenn diese in den Leuten aufleben.” 

Peter Handke an Siegfried Unseld

Trotzdem kommt das Werk immer vor der Rezeption. Und wer sich trotz ausbleibender Reaktion auf seine Arbeit nicht von der Schreibmaschine oder der Kamera loseisen lässt, ist in meinen Augen ein ebenso würdiger Künstler wie die, die man im Louvre findet. Ich könnte es niemals so treffend ausdrücken wie Fernando Pessoa:

“Selbst wenn wir wissen, dass ein nie zustande kommendes Werk schlecht sein wird, ein nie begonnenes ist noch schlechter! Ein zustande gekommenes Werk ist zumindest entstanden. Kein Meisterwerk vielleicht, aber es existiert, wenn auch kümmerlich wie die Pflanze meiner gebrechlichen Nachbarin. Diese Pflanze ist ihre Freude, und hin und wieder auch die meine. Was ich schreibe und als schlecht erkenne, kann dennoch die eine oder andere verwundete, traurige Seele für Augenblicke noch Schlechteres vergessen lassen. Ob es mir nun genügt oder nicht, es nützt auf irgendeine Art, und so ist das ganze Leben.”

Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe
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Folge 3: Mitternachtsbrief http://rum-diary.net/folge-3-mitternachtsbrief/ http://rum-diary.net/folge-3-mitternachtsbrief/#comments Tue, 01 Jan 2019 15:19:30 +0000 http://rum-diary.net/?p=6517 Continue reading Folge 3: Mitternachtsbrief ]]>

Nika aus Bayern hat auf meinen (wenig) versteckten Aufruf reagiert und mir einen Brief in die Pfalz geschickt. Ich habe mir überlegt, daraus vielleicht eine Rubrik zu machen. Schickt mir einen Brief und wenn ich ihn interessant beantworten kann, landet er in meinem Podcast.

Ein frohes neues Jahr,

mahalo,

Bob Sala

Playlist zur Folge:

  • Balmorhea – All Flowers
  • Hammock – Andalusia
  • Pearl Jam – Nothingman

Wie immer auch bei Spotify in der Playlist zum Podcast.

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Folge 2 – Alles ist möglich http://rum-diary.net/folge-2-alles-ist-moeglich/ http://rum-diary.net/folge-2-alles-ist-moeglich/#respond Wed, 28 Nov 2018 09:34:16 +0000 http://rum-diary.net/?p=6498 Continue reading Folge 2 – Alles ist möglich ]]>

Die zweite Folge meines Podcasts führt mich von meinem ausgedehnten VHS-Konsum in den 90ern bis in das Los Angeles von 2017 und nach Las Vegas, wo ich „Fear and Loathing“ nur im Billigflieger erleben durfte. Es ist ein sehr langer Liebesbrief an Cameron Crowe und Neal Preston, das „Team City“, aber auch an die Redaktion des „Vinyl Stories“ Magazins, die lieben Menschen von der Lightpower Collection und an Lester Bangs, den größten Rockjournalisten des Planeten.

Kapitelübersicht zum einfacheren Weiterhören:

00:00:00 Intro: Eine Gebrauchsanweisung

00:09:40 Kapitel 1: VHS-Kassetten und psychotische Reaktionen oder Tangerine Dream

00:39:35 Kapitel 2: Fast berühmt, Briefe ans Universum, Industrie der Coolness, Penny Lane

00:58:40 Kapitel 3: Ein verhängnisvoller Abend in Paderborn, Vinyl Geschichten

01:24:10 Kapitel 4: LAX-LAS, Spirit Airlines, Frühstück im Westgate, Hard Rock Hotel, Team City

01:50:20 Kapitel 5: Rainbow Bar, Laurel Canyon, Rawtalk mit Melissa Hill, Nachricht von Cameron

Playlist zur Folge (hier auch bei Spotify):

  • Alvin and the Chipmunks – Chipmunk Song
  • Humble Pie – 30 Days In The Hole
  • Neil Young – Everybody Knows This Is Nowhere
  • Elton John – Tiny Dancer
  • YES – I’ve Seen All Good People
  • Eagles – Seven Bridges Road (Live)

Buchempfehlungen aus der Folge:

  • Hunter S. Thompson – Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten (Briefe), Edition Tiamat
  • Lester Bangs – Psychotische Reaktionen und heiße Luft, Edition Tiamat
  • Neal Preston – Exhilarated & Exhausted, Reel Art Press
  • Vinyl Stories Magazin


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Cosmic Jokes Podcast #1 http://rum-diary.net/cosmic-jokes-podcast-1/ http://rum-diary.net/cosmic-jokes-podcast-1/#comments Tue, 29 Oct 1968 14:54:46 +0000 http://rum-diary.net/?p=6475

Und dann habe ich es doch getan. Meine erste Podcast-Folge ist online. Technisch ruckelt es noch ein bisschen und an der Eloquenz muss noch gearbeitet werden, doch ich gelobe Besserung.

Ich habe nicht wirklich Ahnung, worum es geht. Das wird auch von Folge zu Folge wechseln. In der ersten Folge erwarten Euch aber Geschichten über David Foster Wallace, Roberto Bolaño und Alberto García Alix und Bob Sala natürlich. Es geht um Literatur, um Fotografie, um kosmische Scherze und den Versuch, einen roten Faden in einem ansonsten chaotischen Lebensweg zu finden.

 

Die Playlist zum Podcast findet Ihr bei Spotify. Die Titel der ersten Folge zum Nachlesen:

  1. Junestorm – Mermaid Song (Patti Smith Cover)
  2. The Hollies – Long Cool Woman
  3. Van Morrison – I’ll be your Lover, too
  4. Joe – Strummer & The Mescaleros – Ramshackle Day Parade
  5. The Doors – The End

Ein paar der erwähnten Bücher und zusätzliche Empfehlungen:

  • David Foster Wallace – Infinite Jest
  • Roberto Bolaño – Die romantischen Hunde, 2666, Chilenisches Nachtstück, Amuleto
  • Alberto García Alix – Self-Portrait
  • Paul Auster – Das rote Notizbuch
  • wilde-leser.de
  • infinitesummer.org

Es ist mein erster Versuch, also seid bitte gnädig. Ich würde mich trotzdem über ein paar Kommentare freuen, sei es auf meinen Kanälen oder hier unter dem Blogbeitrag zur Episode!

Mahalo, Bob

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You can’t always get what you want http://rum-diary.net/you-cant-always-get-what-you-want/ http://rum-diary.net/you-cant-always-get-what-you-want/#comments Mon, 03 Jul 1967 10:51:56 +0000 http://rum-diary.net/?p=6229

Mein Leben hat sich in den letzten zwei Jahren grundlegend verändert. Der Versuch, die Kunst Stück für Stück, Fotografie für Fotografie und Text für Text wieder in mein Leben zu ziehen nahm meine gesamte Zeit in Anspruch. Gelungen ist das Ganze zumindest so weit, dass ich mich in meiner aktuellen Situation zum ersten Mal seit sehr langer Zeit und vielleicht zum ersten Mal überhaupt wirklich glücklich und einig mit meinem Lebensentwurf fühle. Nach und nach konnte ich die meisten „was wenn“ und „hätte ich doch“, die ich in meinen Zwanzigern angesammelt habe, in einige sehr gute, einige sehr schlechte und einige sehr merkwürdige Erfahrungen umwandeln. Für mich fühlt sich das wie Erfolg an. Nicht mehr Treibgut zu sein in dieser Welt, sondern aktiv Wege zu gehen, die manchmal zum Ziel führen, ganz oft aber auch nicht.

Also wie definiere ich für mich Erfolg? Ich kann von meiner Fotografie nicht leben. Das Vorweg. In den sozialen Medien entsteht immer ein Bild, das mit der Realität sehr wenig zu tun hat. Oft treffe ich Menschen, die einfach und ganz natürlich davon ausgehen, dass ich zu 100 Prozent von meiner Fotografie lebe. Sie vertauschen eine gewisse Bekanntheit in der Szene mit dem realen (wirtschaftlichen) Erfolg eines Fotografen. Dass ich noch nicht ganz davon leben kann hat mehrere Gründe. Über die mache ich mir gerade jedoch nicht wirklich Gedanken. Denn seit April bestreite ich zumindest schon mal die Hälfte meines ausschweifenden Lebensstils mit dem Schreiben und der Fotografie. Einige Magazine, einige Brands, einige private Kunden, einige Hochzeiten. Es kommt einigermaßen hin. Und zwar so, dass ich nun an 4 von 7 Tagen der Woche selbst entscheiden kann, was ich tun möchte oder eben nicht. Meinen Hauptberuf übe ich jetzt nur noch halbtags aus. Die letzten 10 Jahre habe ich Vollzeit als Projektleiter in der Bildungsbranche gearbeitet. Diese dazugewonnene Freiheit ist für mich immer noch jede Woche etwas Besonderes! Dass ich gerade an einem Montag Morgen vor einem Café in der Sonne sitze und bei einem langsam kalt werdenden Kaffee einen Beitrag für meinen Blog schreibe. Definiere Glück! Für mich ist das großes Glück. Und ich bin sehr dankbar, dass mir meine „Kunst“ dieses Glück ermöglicht. Davon habe ich geträumt, jahrelang.

Eine Begleiterscheinung der wiedergewonnenen Zeit ist, dass ich wieder sehr viel schreibe. Und lese. Und die alte Liebe zur Literatur wieder entfacht ist. Ich springe in den Kunstformen je nach Tagesform und aktuellen Interessen. Per Zufall. Nach meinem Shooting mit Hannah vor einer Woche bin ich wieder knietief in den Gedichten von Mascha Kaléko versunken. Zuvor hatte June die Tagebücher der Anaïs Nin für sich entdeckt und ich konnte nicht umher, mit ihr und Anais und Henry Miller ein paar Wochen durch die dreckigen Straßen von Paris zu schlendern. Dann plötzlich ein Nachmittag, an dem mir wieder mein Bildband von Saul Leiter in die Hände fällt und ich mich über Tage in seiner Poesie verliere. So war es immer schon in meinem Leben. Alles ist miteinander verbunden und ich schlittere ansatzlos von einer Phase in die nächste, von dieser Autorin zu diesem Maler zu diesem Fotografen, die Inspiration ist endlos.

Nur gibt es jetzt einen entscheidenden Unterschied. In meinen Zwanzigern ging ich auf diese Reisen immer mit einem dicken Gepäckstück auf dem schmalen Rücken: „Ich muss eigentlich etwas anderes tun gerade!“ Eine „richtige“ Berufung finden, mein Studium abschließen, alles andere war wichtiger als die Träumereien, in denen ich mich ständig verlor. Damit ist jetzt Schluss. Wenn ich mir einen Tag, ein Wochenende oder noch mehr nehmen möchte, um die Tagebücher von Max Frisch zu durchblättern, dann mache ich das! Alles das hat Einfluss auf mein Handeln und meine kreativen Prozesse in der Zukunft. Ich werde dazu ausführlich in der neuen Ausgabe des BUNT Magazins schreiben und auch bei einem Event in Duisburg im Juli während eines kleinen Vortrags darauf eingehen, was ich damit meine. Es ist eine Variation von den Gedanken, die ich hier auf dem Blog schon ein mal formuliert habe.

Ich habe gerade den Rest meines kalten Kaffees runtergekippt. Die Sonne scheint zwischen dunklen Wolken. Auf meinen Kopfhörern habe ich „You can’t always get what you want“ auf Dauerschleife. Ich werde jetzt an einem Artikel über eine Band aus den 70ern weiterschreiben, den Ihr im Herbst an eurem Kiosk finden werdet. Definiere Glück…

You can’t always
get what you want
But if you try sometimes
well you might find
You get what you need

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One Way… Or Another http://rum-diary.net/cactus/ http://rum-diary.net/cactus/#respond Sat, 06 May 1967 09:39:30 +0000 http://rum-diary.net/?p=6163

Cactus was initially conceived as early as late 1969 and originally featured former Jeff Beck Group members lead vocalist Rod Stewart and guitarist Jeff Beck, xylophone player/vocalist Adele Smitchell, and former Vanilla Fudge members bassist Tim Bogart and drummer Carmine Appice. However, Beck had an automobile accident and was out of the music scene for over a year and Stewart joined Ronnie Wood in Faces.

In early 1970, Bogert and Appice brought in blues guitarist James McCarty from Mitch Ryder’s Detroit Wheels and The Buddy Miles Express, and singer Rusty Day (born Russell Edward Davidson) from The Amboy Dukes.

This line-up produced three albums (The Debut Album1 Way Or Another, and Restrictions) before intraband troubles led to McCarty quitting at the end of 1971. Shortly afterwards Day was fired from the group. The fourth and last Cactus album (Hot & Sweaty) featured original rhythm section Bogert and Appice joined by Werner Fritzschings on guitar, Duane Hitchings on keyboards, and Peter French (ex-Leaf Hound and Atomic Rooster) on vocals. – Rock Wiki

Press HERE first.



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Sie trinkt Salty Dog und erzählt vom Wellenrauschen http://rum-diary.net/sie-trinkt-salty-dog-und-erzaehlt-vom-wellenrauschen/ http://rum-diary.net/sie-trinkt-salty-dog-und-erzaehlt-vom-wellenrauschen/#comments Mon, 01 May 1967 20:13:55 +0000 http://rum-diary.net/?p=5823 Es fing an zu regnen, als ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte. Ich zog die Kapuze meines Pullovers über meine Mütze, steckte meine Hände in die Vordertaschen und spazierte los. Es war irgendein Freitag im Juli. Den Tag hatte ich mir frei genommen, um zu schreiben.

Etwas, das ich schon seit einigen Jahren nicht mehr gemacht hatte. Vielleicht ist das Schreiben die größte Sehnsucht und gleichzeitig die größte Niederlage in meinem Leben. Dass ich über die Fotografie zurück zu meiner Schreibmaschine finden würde, hätte ich niemals erwartet. Es sind die Fragen, die mir ständig gestellt werden, die mich wieder zum Nachdenken und Formulieren bringen. Wieso wirken die Frauen auf deinen Bildern so wie sie es tun? Wie sind deine Bilder zu dem geworden, was sie jetzt sind? Wie hast du zu deiner Art zu Fotografieren gefunden?

Einfache Fragen, auf die es einfache Antworten gibt, die mich aber sehr umtreiben. Vor allem, weil ich mich dabei erwische, wie ich unterschiedlichen Leuten unterschiedliche Antworten auf diese Fragen gebe im Laufe der Zeit. Meine Antworten sind immer nur der aktuelle Stand meiner eigenen Grübeleien zu diesen Themen. Vielleicht versuche ich mich mit den unterschiedlichen Antworten auch selbst dem Thema zu nähern. Eine Grundvoraussetzung für meine Bilder ist mir allerdings mittlerweile klar geworden. Wenn ich meine Kamera in die Hand nehme, bin ich unweigerlich mit im Foto. Auch wenn ich das perspektivisch zu vermeiden suche und fotografisch eigentlich absichtlich versuche, mich aus den Bildern rauszunehmen.

Mein Foto ist mein Blick auf die Welt. Und die Art wie ich Frauen darstellen möchte spiegelt in gewisser Weise das Bild wieder, das ich von ihnen habe. Natürlich klappt das eher selten, aber bei den Bildern, die mir etwas bedeuten, hat es auf irgendeine Weise ein bisschen funktioniert. Mein Frauenbild ist stark geprägt durch einige Personen und Ereignisse in meiner Jugend und in meinen Zwanzigern. Meine frühe Kindheit habe ich nur unter Frauen verbracht. Meine alleinerziehende Mutter, meine Großmütter, Cousinen, Nachbarstöchter. Die Freunde meiner Eltern hatten alle Kinder, und auch das waren Mädchen. Ich habe ein Jahr auf einer Insel in der Nordsee gelebt als ich sehr jung war. Meine beste Freundin dort war die Tochter unserer Nachbarn. Dann gab es noch das Austauschmädchen aus dem Senegal bei meinem Onkel. Und es gab die schon etwas ältere Kollegin, die meinen literarischen Horizont gehörig erweitert hat, als ich mit 22 in einer Buchhandlung gearbeitet habe. Ich habe Literaturwissenschaften studiert, in den meisten Kursen als einziger Mann gesessen. Oder Die Mädchen in meinem Schwimmverein, die alle viel austrainierter und schneller waren als ich. Und das Mädchen, mit dem ich einen einzigen Tag in Marseille verbracht und sie dann nie wiedergesehen habe. Und, und, und. Diese Frauen haben meinen Umgang mit und meine Sicht auf das andere Geschlecht geformt und geprägt. Manche sehr stark und manche nur flüchtig. Aber ich sehe Eigenschaften von ihnen in vielen meiner Bilder, weshalb ich mich diesen Frauen wieder zuwenden will.

An besagtem Tag im Juli hatte ich mir also frei genommen, um mit dem Schreiben einer kleinen Serie über meine Fotografie zu beginnen. Ich wollte über die Frauen schreiben, die aus meinem Unterbewusstsein immer wieder mit auf meine Bilder wandern. Was ich damit meine, lässt sich am besten anhand des Mädchens aus Marseille erklären. Ihren Namen weiß ich nicht mehr. Aber ich hatte mir vorgenommen, an diesem Tag im Juli über sie zu schreiben. Und dieses Mal wollte ich schreiben ohne meine gewohnten Schriftstellerklischees auszuleben. Tee statt Alkohol, Laptop statt Schreibmaschine. Das mit dem Laptop hatte ich nach einer halben Stunde wieder verworfen. Ich brauche einfach meine IBM-Kugelkopf, um mich ein bisschen zu fühlen wie Hunter S. Thompson oder Hank Moody und irgendwann die Traute zu haben, einfach loszutippen. Nach zwei Stunden hatte ich, nach einem schleppenden Anfang, nur noch den Kiosk ein paar Straßen weiter im Kopf und dessen Kühlschränke, die unter anderem eiskalte Coronas beherbergen. Die Geschichte wollte nicht so recht beginnen und ich hatte noch keine volle Seite zu Papier gebracht. Ich beschloss, einen kleinen Spaziergang zu machen und ein paar Bier und Kaugummis zu besorgen.

Der Regen wurde ein bisschen stärker, als ich in die Mühlenstraße bog. Ich zog die Kappe unter meiner Kapuze ein bisschen tiefer in mein Gesicht. In den umliegenden Cafés und Restaurants rannten die Kellner wie wild hin und her und rissen die Tischdecken und Stuhlkissen von den Möbeln, um sie ins Trockene zu bringen. Ein bunt angezogenes Mittelklasse plus Pärchen lief geduckt in Richtung Restaurant, in der einen Hand ihre Teller mit Nudeln, in der anderen halbleere Weißweingläser. In meinem Viertel gibt es viele Kneipen und Bars und Restaurants und Imbisse. Im Sommer höre ich abends die Stimmen der Menschen, die vor den Cafés sitzen, wenn ich das Fenster in meinem Schlafzimmer einen Spalt geöffnet lasse. Es gibt mir das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein. Manchmal träume ich mich dann ans Meer nach Südfrankreich. Aber ich habe mich mit der kleinen Stadt versöhnt, in der ich lebe. Sie ist Fluch und Segen zugleich. Ich liebe meine Einsamkeit. Und hier habe ich genau so viel davon, dass ich nicht drohe, depressiv zu werden. Die Fotos bringen mich in letzter Zeit genug durch die Welt. Trotzdem habe ich so langsam das Gefühl, dass diese Beziehung bald enden wird.

Ich lief die Mühlenstraße entlang und beschloss einen kleinen Umweg zu machen. Vielleicht würde mir endlich der Einstieg zur Geschichte vom Mädchen in Marseille einfallen. Das ist, was ich immer brauche. Einen kleinen Einfall, die Tür in den Text. Doch die ist meist schwer zu finden und dann vielleicht auch noch verschlossen. Vor allem, wenn man bewusst danach sucht. Kurz vorm Einschlafen kommt es mir oft, wenn ich ein paar Tage mit einer Idee schwanger gegangen bin. Ich versuchte mir das Mädchen wieder in Erinnerung zu rufen. Blonde dünne Haare, die sie eng am Kopf zusammengebunden hatte. Grüner Bundeswehrparka. Batik-Rucksack. Abgelatschte braune Lederschuhe. Eine braune Strumpfhose mit Löchern, Jeansrock. Strenge Gesichtszüge. Sie machte ruckartige kleine Bewegungen, wenn sie etwas aus ihrem Rucksack kramte. So in etwa sah sie aus, als ich sie am Flughafen in Köln zum ersten Mal sah. Wir warteten auf eine HLX Maschine nach Marseille. Es war etwa halb acht morgens und die Wartehalle war noch erleuchtet von gelblichen Neonröhren, weshalb jeder an unserem Gate noch ein bisschen müder aussah als es eigentlich der Fall war. Sie war mir aufgefallen, weil sie in einer noch druckfrischen Ausgabe von Murakamis „Wilde Schafsjagd“ las. Ich hatte den Roman etwa ein Jahr zuvor gelesen und er war mir noch gut in Erinnerung. Ich glaube an Zeichen. Ihre Ohren konnte ich unter ihren locker zusammengebundenen Haaren leider nicht sehen. Ich überlegte, was mir zu dem Roman noch einfiel. Ich hatte direkt das Gefühl, dass wir noch miteinander ins Gespräch kommen würden. Sie blickte ab und zu herüber und unsere Blicke trafen sich. Sie hatte zu dem Roman in ihren Händen noch ein Notizbuch im Schoß, in dem ein Bleistift klemmte. Mein Notizbuch lag neben mir auf einem freien Sitz und ich las damals in den Briefen an Felice Bauer von Franz Kafka. Patti Smith hat mal geschrieben, dass sie es sehr bedauerlich findet, niemanden mehr in ihren Stammcafés zu sehen, der in ein Notizbuch schreibt und Zeit mit sich und seinen Gedanken verbringt. Irgendwie teile ich dieses Gefühl und jedes Mal, wenn ich jemanden mit einem Notizbuch sehe, fühle ich mich ein wenig zu dieser Person hingezogen. Dem Mädchen aus Marseille schien es ähnlich zu gehen. Ich spürte wie sie mich mit meinen Büchern beobachtete bis unser Flug ausgerufen wurde. HLX war Anfang der Nullerjahre die Billigfluglinie der Lufthansa. Der Flug nach Marseille kostete knapp zwanzig Euro. Freie Platzwahl. Ich stieg vor ihr ein und suchte mir einen Platz am Fenster, etwa auf Mitte des Fliegers. Als ich mich hingesetzt hatte, sah ich sie auf dem Gang ein paar Meter weiter in der Schlange der Passagiere. Sie drückte sich etwas ungeduldig an einigen vorbei und warf ihren grünen Parka auf den Sitz neben mir. „Noch frei?“, fragte sie beiläufig, da sie die Antwort schon kannte. Bei der Erinnerung daran muss ich an die erste Szene aus „The Rum Diary“ denken, die Szene, die im Film leider nicht vorkam. Sie stopfte Notizbuch und Murakami ins Gummifach vor ihr, setzte sich neben mich und schnallte sich an. Sie warf mir keinen Blick mehr zu bis zum Start und ich vertiefte mich wieder in die traurigen Ergüsse Franz Kafkas. Nachdem die Maschine durch die Wolken gebrochen war, schien sie sichtlich entspannter. Sie kramte den Murakami hervor und begann irgendwo in der Mitte zu lesen. „Es gibt zwei Arten von Menschen, mittelmäßige Träumer und mittelmäßige Realisten“, sagte ich zu ihr. Das war der einzige Satz, den ich aus dem Buch behalten hatte. Und ich bereute meinen Vorstoß im selben Moment, als ich den Satz ausgesprochen hatte. Sie blickte zu mir Auf und antwortete: „Und du? Träumer oder Realist?“

Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich ihr darauf geantwortet hatte, als ich von der Mühlenstraße in den Altstadtkern abbog. Der Regen hatte schon wieder aufgehört und es roch nach nassem Asphalt im Sommer. Ich ging an der Weinbar vorbei, in der ich mich vor sechs oder sieben Jahren mit Pascal Mercier über Fernando Pessoa unterhalten hatte. Nach seiner Lesung aus dem Roman, der nach „Nachtzug nach Lissabon“ kam. Der Weinladen ist mittlerweile seit einem Jahr geschlossen. Aber diese Erinnerung wird mir bleiben. Orte und Erinnerungen. Ich weiß nicht mehr, bei wem ich es gelesen habe, aber irgendwer hat mal geschrieben: „Wenn man in einer kleinen Stadt lebt, bleibt es nicht aus, dass man irgendwann mit jedem noch so kleinen Ort in ihr eine Erinnerung verbindet.“ Oder so ähnlich. An diesen Satz denke ich immer, wenn ich meine Kopfhörer vergessen habe und irgendwo in diesen Straßen herumirre. Es ist ein Gedankenspiel. Da ist die Weinbar. Als nächstes ein kleines Stadtmuseum, in dem ich vor mehr als zehn Jahren einen kleinen Poetry Slam besucht habe, über den ich meinen ersten Artikel für eine Zeitung in der neuen Stadt schreiben durfte. Die Stadtmauer, an der ich gelehnt habe, als mich dieses Mädchen vom Stadtfest küssen wollte, aber eigentlich viel zu betrunken war. Die Brücke über der Quelle, auf der ich mal eine Stunde stand und auf einen alten Freund gewartet habe. All diese Dinge fielen mir wieder ein, als ich durch die Krämerstraße lief. Nur was ich dem Mädchen aus Marseille auf ihre Frage geantwortet hatte, blieb in meinem Gedächtnis verschollen. Aber ihre Frage hatte mich beeindruckt, so viel weiß ich noch. Unser beider Problem war unsere Schüchternheit. Wir tranken Kaffee vom HLX Shop und sprachen über Murakami und Kafka und warum wir auf dem Weg nach Marseille waren. Ich besuchte einen guten Freund, der in Aix-en-Provence studierte zu der Zeit und sie war auf dem Weg, ein Praktikum in einem kleinen Theater am alten Hafen in Marseille zu absolvieren. Ein halbes Jahr würde sie dort bleiben, ich nur für fünf Tage. Ich fand sie mutig. Sie war 19 oder 20. Ich kann mich nicht erinnern. Sie war jung und würde für ein halbes Jahr in Marseille leben, in einer kleinen Wohngemeinschaft, mit Menschen, die sie noch nicht kannte, als sie mit mir in den Flieger gestiegen war. Wir sprachen den ganzen Flug über unsere Lieblingsbücher und als wir zum Landeanflug ansetzten, wurden wir beide still. Wir wollten uns wiedersehen, das stand fest. Nur aussprechen wollte es keiner von uns. Wir warteten zusammen am Gepäckband. Ihr brauner Koffer fiel zuerst herunter. Sie wartete noch bis ich meinen hatte, einen einfachen schwarzen Koffer aus Stoff, den ich mir von meinem Vater geliehen hatte. Als wir aus dem Flughafengebäude traten, brannte die Sonne und die Luft war warm und dreckig von den Bussen. Ich brachte sie noch zu ihrer Haltestelle und wir umarmten uns kurz. „Komm mich doch noch in Marseille besuchen, wenn du es schaffst“, sagte sie im letzten Moment und gab mir eine Seite aus ihrem Notizbuch, auf der sie ihre Nummer notiert hatte. Ich versprach ihr, anzurufen und sie stieg ohne sich noch einmal umzudrehen in den Wagen.

Auf dem Zettel stand auch ihr Name. Daran erinnerte ich mich. Ich überlegte, ob ich ihn noch irgendwo finden würde. Das alles war über zehn Jahre her. Aber ich bewahre viele Kleinigkeiten auf. Von großen Dingen trenne ich mich sehr schnell. Ich war endlich beim Kiosk angekommen. Der Inhaber Asif kennt mich ein bisschen und grüßte überfreundlich, wie er es immer macht. Ich nahm fünf Flaschen Corona aus dem großen Kühlschrank und stellte mich an der Kasse an. Vor mir gab jemand ein Paket zum Versand auf und ich vertrieb mir die Zeit mit der Auswahl einiger Kaugummis. Bei Kaugummi gehe ich ausschließlich nach der Farbe der Packung. Ich nahm eine blaue Packung, eine orangene und eine knallgelbe aus der Auslage. Vor der Tür riss ich die gelbe Packung auf, steckte mir eins der Kaugummis in den Mund und überlegte, welcher Geschmack es sein könnte. Es war Grapefruit, eindeutig. Und da war sie. Die Tür die ich gesucht hatte. Die Proustsche Madeleine in der Erinnerung an mein Mädchen aus Marseille war ein Orbit ohne Zucker Kaugummi mit Grapefruitgeschmack. Plötzlich war alles wieder da. Der Tag strahlte in meiner Erinnerung.

In Murakamis „Wilde Schafsjagd“ gibt es ungefähr in der Mitte des Romans ein Kapitel, das „Sie trinkt Salty Dog und erzählt vom Wellenrauschen“ heißt. Als wir am Nachmittag durch Marseille spazierten, erinnerten wir uns an dieses Detail. Wir mochten den Klang dieses Titels, wussten aber beide nicht, was ein „Salty Dog“ war. Also beschlossen wir, in eine Bar am Hafen zu gehen und auf gut Glück zwei „Salty Dogs“ zu bestellen, falls unsere Finanzen es noch zulassen würden. Marseille war unendlich teuer und wir waren über den Tag gekommen, in dem wir in jedem Café nur einen kleinen Kaffee bestellt hatten und zwei Stunden davor sitzen geblieben waren. Ich hatte sie um 12 Uhr bei ihrer WG abgeholt. Sie trug wieder die braunen Schuhe, lange braune Socken und Stoffhosen wie ein Golfer aus den Zwanzigern, in die sie ein lockeres weißes Hemd gesteckt hatte. Wir führten unser Gespräch über Murakami fort und spazierten an den Platanen vorbei, die in Marseille überall wachsen. Marseille ist über die Jahre zu meiner dreckigen Geliebten geworden. Der alte Hafen ist einer der schönsten Flecke, die ich kenne. In einer Seitengasse des Vieux Port war auch das kleine Theater, an dem sie ihr Praktikum machen würde. Sie drückte ihr Gesicht an das Fenster, doch drinnen war an diesem Nachmittag noch alles dunkel. In einem Leuchtkasten an der Seite sah man die Schauspieler in ihren aktuellen Rollen auf kleinen schwarz-weiß Fotos und jemand hatte den Titel des Stücks aus Magazinüberschriften zu einer Collage zusammengeklebt. Ich erinnere mich gut an diesen Moment. Wie sie versuchte, irgendwelche Umrisse im Dunkel auszumachen. Sie stand auf Zehenspitzen. Das weiße Hemd, das sie vielleicht von ihrem Vater geklaut hatte, war aus der Hose gerutscht und hing ihr fast in den Kniekehlen. Ich konnte ihre Vorfreude spüren. Sie hatte diesen großen Schritt gewagt und dieser Augenblick schien ihr wieder bewusst zu machen, dass sich das alles gelohnt hat. Sie war Künstlerin und versuchte, sich in allem auszuleben. Mich beeindruckte das damals. Nachdem wir beim Theater waren, gingen wir noch am Wasser entlang und besuchten die Händler an ihren kleinen Ständen. Sie verkauften Fisch und einige verkauften auch ein bisschen Gemüse. Die Sonne brannte uns im Nacken und wir beschlossen, jetzt nach der Bar zu suchen, in der wir einen „Salty Dog“ bestellen würden. In den ersten beiden Kneipen schauten sie uns verwundert an. In der dritten hatten wir dann Glück. Aber unser erster „Salty Dog“ sollte 13 Euro kosten. Wir entschieden, uns einen zu teilen und legten fast unser restliches Vermögen auf den Tresen. Der Barkeeper legte los und servierte uns nach kurzer Zeit ein verblüffend kleines Margaritaglas mit Salzrand und gelblichem Inhalt. Es stellte sich heraus, dass Salty Dog lediglich Vodka mit Grapefruitsaft ist. Aber wir genossen unser mondänes Getränk in illustrer Gesellschaft. Wir nippten fast eine Stunde an unserem Glas herum und verloren uns in Gesprächen über unsere Lieblingsautoren, Reisen, die wir unternommen hatten und noch unternehmen wollten, Filme, Musik, Frankreich, Cafés, den Drang, Kunst machen zu wollen, ohne zu wissen in welcher Kunstform. Sie erzählte mir, was sie sich für die Monate in Marseille wünschte. Wir hatten in nur ein paar Stunden eine Verbindung zueinander aufgebaut. Wir vertrauten uns. Wir hatten die gemeinsame Welle gefunden, von der ich meinen Models immer versuche zu erzählen. Die gleiche Welle zu finden, die uns beide an den Strand trägt. Darum geht es in meinen Bildern. Hätte ich damals schon fotografiert, wäre es sicher zu einem Foto von ihr gekommen, das mich jetzt an sie erinnern würde. Stattdessen musste ich ihr versprechen, irgendwann unsere Begegnung in einer meiner Geschichten unterzubringen. Sie brachte mich zu meinem Bus nach Aix en Provence. Wir verabschiedeten uns und tauschten Adressen aus, umarmten uns zum Abschied. Ich saß in der klimatisierten Navette und beobachtete den Sonnenuntergang zwischen den riesigen Hochhäusern der Vorstädte Marseilles. Ich hatte noch den Grapefruitgeschmack auf der Zunge, während ich meine Stirn an das Fenster lehnte. Das Mädchen aus Marseille habe ich nie wiedergesehen. Ihre Adresse ging noch auf der Reise verloren und sie schrieb mir auch nie.

Mit dem Geschmack des Grapefruitkaugummis im Mund schloss ich meine Haustür auf und ging die Treppe hoch. Die Flaschen klimperten in einer Plastiktüte. Ich warf meine Mütze in die Ecke, ging in die Küche und öffnete eine davon. Die restlichen stellte ich in den Kühlschrank und ging rüber in mein Schreibzimmer. Ich hatte die Schreibmaschine aus Versehen an gelassen und sie surrte noch auf meinem Holztisch vor dem Fenster. Ich war zuversichtlich, den Einstieg in meinen Text gefunden zu haben. Auf meinem iPod stellte ich „Rouge“ von Lou Reed auf repeat und setzte meine Kopfhörer auf.

Und dann begann ich diese Geschichte.

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Berlin Fictions http://rum-diary.net/fictions/ http://rum-diary.net/fictions/#comments Wed, 15 Mar 1967 08:45:56 +0000 http://rum-diary.net/?p=6106 I met Sara in Berlin on a warm sunday last summer. She is a photographer from Sweden and has been trying to get along in Berlin for the last 2 years. We spent the day in an apartment of two of her friends, smoking cigarettes, drinking Coronas and talking enthusiastically about photography and our different lifes as artists in this country. If you don’t know her yet, you should check out all of her accounts. She is crazy. In a good way. And one of the most inspiring people to be around.

“Back then,
I’d reached the age of 20
and I was crazy.
I’d lost a country
but won a dream.
As long as I had that dream
nothing else mattered.
Not working, not praying,
not studying in morning light
alongside the romantic dogs.
And the dream lived in the void of my spirit.
A wooden bedroom,
cloaked in half-light,
deep in the lungs of the tropics.
And sometimes I’d retreat inside myself
and visit the dream: a statue eternalized
in liquid thoughts,
a white worm writhing
in love.
A runaway love.
A dream within another dream.
And the nightmare telling me:
you will grow up.
You’ll leave behind the images
of pain and of the labyrinth
and you’ll forget.
But back then,
growing up would have been a crime.
I’m here, I said, with the romantic dogs
and here I’m going to stay.” Roberto Bolaño

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Almost Famous http://rum-diary.net/almost-famous/ http://rum-diary.net/almost-famous/#comments Fri, 03 Mar 1967 13:47:18 +0000 http://rum-diary.net/?p=5829 Der Tiefpunkt kam vor etwas weniger als drei Jahren. Mit 28 hatte ich den Versuch aufgegeben, Romane zu schreiben und mit knapp 30 war es damals noch nicht abzusehen, dass die Fotografie mich irgendwann erlösen würde. Zu dieser Zeit blutete mein Drang, mich künstlerisch ausdrücken zu wollen einfach unsinnig und unkontrolliert aus mir heraus. Denn Melancholie, die nie aufhört, ist keine. Keinen Roman zustande gebracht zu haben, hinterließ eine Wunde, die in genau dieser Zeit vor drei Jahren zu entzünden drohte. Ich suchte den Ausweg aus den dunkleren Winkeln meines Kopfes in Filmen und scharrte meine Lieblinge wieder eng um mich. Ein gutes Jahr, Finding Forrester, Motorcycle Diaries, Before Night Falls, Shadows in the Sun, Into the Wild. Ich schaute diese Filme beinahe täglich, manche 20 oder 30 mal. Einige der Filme, die für mich stark zu meiner „sentimental education“ beigetragen haben, sind von dem amerikanischen Regisseur Cameron Crowe. Nicht der Cameron von Titanic sondern „Jerry Maguire“, „Elizabethtown“ und vor allem „Almost Famous“.

Genau diesen Film hatte ich zu dieser Zeit mal wieder geschaut, nachts, im Weinrausch, mit offenem Herz und etwas zu anfälliger Seele. In dem Film geht es um die autobiografische Geschichte Crowes, der Anfang der 70er mit nicht mal zwanzig Jahren zusammen mit dem befreundeten RocknRoll Fotografen Neal Preston unter anderem die Allman Brothers Band für den Rolling Stone als Journalist auf Tour begleiten durfte. Der Film beinhaltet einige der Keimzellen von allem, was ich jetzt als Bob Sala in die Welt male. Nachdem ich den Film mal wieder geschaut hatte, beschloss ich, mich an meine Schreibmaschine zu setzen und Cameron Crowe einen Brief zu schreiben. Da ich betrunken und gefühlsduselig war, artete es ein wenig aus und am Morgen hatte ich dann eine zweiseitige Liebeserklärung getippt, inklusive einer finalen bitte um Adoption. Ich suchte ein, zwei Adressen aus dem Netz, Produktionsfirmen, Agenturen und schickte Kopien des Briefes nach Amerika. Eine Antwort bekam ich nie.

Das Cover der europäischen DVD des Films zeigt Kate Hudson, in Unterwäsche vor einem Hotelbett, im Hintergrund eine Gitarre, violette und neonblaue Farbgebung, keine Pose, einfach nur Sie und ihr Blick in die Kamera. Einer der ersten Versuche als Bob Sala war es, genau diese Szene mit einem Model nachzustellen. Eigentlich wollte ich wie Neal und Cameron mit Bands mitreisen, doch all meine Briefe an die Bands, Labels, Magazine und Tour Manager blieben unbeantwortet. Was daran gelegen haben mag, dass ich kein Portfolio hatte und einfach nur dreiste, biertrunkene Briefe im Stil Hunter S. Thompsons in meine IBM hackte. Ich wollte sein wie Lester Bangs, der im Film unfassbar genial von Philip Seymour Hoffman gespielt wurde. Eingesperrt zwischen seinen Platten, die ganze Nacht vor der Schreibmaschine.

Aber was ich mir zu eigen machen konnte aus der Welt von Almost Famous waren die Band Aids. Mädchen, die die Musik lieben, die Texte auswendig können, die Platten sammeln, nichts lieber tun, als mit ihrem Lieblingsalbum und fetten Kopfhörern in ihren Schlafzimmern zu sitzen und die Lyrics in den Booklets mitzulesen. Penny Lane ist ein Geist, der auf meinen Bildern lebt und der gleichzeitig Inspiration und Wegweiser für die erste Phase meiner Fotografie wurde. Seitdem ist viel passiert. Mein Herz hält längst nicht mehr Schritt mit allem, was ich zurückbekomme. Jede Flaschenpost, die ich in den letzten beiden Jahren ans Universum geschickt habe, wird dieser Tage eine nach der anderen beantwortet. Durch die Fotos, die ich mache, lerne ich beinahe täglich Menschen mit denseben kulturellen Einflüssen kennen. Zufall und Bestimmung wechseln sich wöchentlich ab in meinem Postfach.

Eines Tages führte das Schicksal mich dann auf einer Veranstaltung hier in meiner Stadt zu Giulia Calani. Giulia ist Galeristin. Sie organisiert Ausstellungen. Wir wurden einander vorgestellt. Ich als Fotograf, sie als Ausstellungsorganisatorin. Ihre erste Frage: „Kennst du vielleicht Neal Preston?“

Dass ich in einem Dorf wohne ist ein Fakt, der mir mittlerweile regelmäßig vorgeworfen wird. In eine größere Stadt zu ziehen, um mit meiner Fotografie weiterzukommen, scheint für viele der logische Schritt. Und dann treffe ich auf einer kleinen Kreativveranstaltung in Paderborn die Galeristin von Neal Preston. Giulia arbeitet für die Lightpower Collection. Dort hat man viele von Neals Bildern gekauft und organisiert nun Ausstellungen und Verkäufe. Die Gelder, die damit eingenommen werden, werden komplett gespendet. Ich antwortete ihr, dass ich Neal sehr wohl kenne und ein großer Fan sei. Tatsächlich habe ich drei Bücher von Neal in meiner Wohnung. Er war der offizielle Tourfotograf von Led Zeppelin in den 70ern und hatte außerdem so gut wie jede meiner anderen Lieblingsbands vor der Kamera. Giulias nächste Frage war, ob ich den Film „Almost Famous“ gesehen hätte.

Wir redeten nicht viel mehr an dem Abend, aber verabredeten uns zu ein paar Cocktails ein paar Wochen später. Und wie es der Zufall will, fiel das alles in die Planung der aktuellen Ausstellung von Neal. In Gütersloh, meiner Heimatstadt (kann man sich bis Ende November im Theater Gütersloh geben, Samstag is Kick-Off und Lesung). Es war schnell klar, dass Giulia mich in die Veranstaltung involvieren und ich den Mann kennenlernen würde, der zu Teilen verwantwortlich für dieses Bob Sala Zeug ist. Ungläubig verbrachte ich die letzten Wochen damit, seine Interviews und Essays wiederzulesen und mich auf die Ausstellung zu freuen. Was könnte ich ihn Fragen, wenn ich ihn sehe? Geheim hoffte ich, dass er einfach nur erzählen würde, wenn wir uns treffen. Ich kenne viele seiner Geschichten, aber ich wollte sie von ihm persönlich hören. Und in dieser Woche startet die Ausstellung endlich mit einigen Veranstaltungen. Ich sollte Neal eigentlich morgen auf der Vernissage kennenlernen. Bis Giulia mir gestern eine Nachricht schickte, ob ich um viertel nach sieben am Arosa Hotel sein könne. Wir würden dann mit Neal essen gehen. Ich bin halb durchgedreht, sprang noch schnell unter die Dusche und rannte aufgeregt durch die verregneten Straßen während ich den „Oogum Boogum Song“ auf den Kophörern hatte. Die beiden warteten schon auf mich vor dem Hotel.

Neal war genau wie ich ihn von einigen Bildern her kannte. Schlank, nicht der größte, schütteres Haar, zurückgekämmt a la Bukowski und zu meinem Glück von der ersten Minute an sehr gesprächig. Ich hatte mir unser Treffen schon das eine oder andere Mal ausgemalt. Wie es am Ende gelaufen ist, hatte ich nicht zu träumen gewagt. Wir sprachen über seinen guten Freund Cameron, er zeigte mir ein Bild auf seinem Handy, das jemand von ihm und Crowe gemacht hatte, während sie vor Pete Townshend stehen und grinsen wie kleine Jungs. „Ich bin einfach immer ein Fan der Musik geblieben. Und wenn ich vor meinen Idolen stehe ist das immernoch das Größte für mich!“ sagte er zu mir, während er das Bild beschrieb. Er überlegte kurz, Cameron für mich auf der Stelle anzurufen. Dann erzählte ich ihm von meinem Brief. Neal verpsrach mir, den Brief persönlich an Cameron weiterzugeben. Ich durfte so viele Geschichten mit ihm noch einmal erleben, während er weitererzählte. Anzügliches mit Courtney Love, ein Fotoshooting mit Springsteens Frau im Chelsea Hotel, Super Bowl Wetten mit Matt Damon, Backstage Geschichten von Led Zeppelin, Fleetwood Mac, Ten Years After, Sly and the Family Stone. Und dann kamen wir zu Almost Famous. Er erzählte vom Dreh, von den wahren Geschichten, auf denen der Film basiert. Von der echten Penny Lane, die ihn vor kurzem noch besucht hatte und von diesem einen Bild. Kate Hudson vor ihrem Hotelbett mit der Gitarre im Hintergrund. Neal erzählte, dass alle Stills zum Film von ihm seien. Und dieses Bild, das als Szene im Film gar nicht vorkomme, hatte er spontan mit Kate Hudson gemacht, als sie im Ambassador Hotel in Kalifornien drehten, dort wo man Robert Kennedy angeschossen hatte. Er habe das Licht in dem Zimmer gesehen, dazu die Gitarre und Kate gefragt, ob sie nicht Lust hätte, ein paar Fotos zu machen. Sie sagte zu und so entstand die Vorlage für meine ersten Arbeiten. Vielleicht sogar der Vibe für alles.

Ich könnte noch viel mehr erzählen, aber die schönsten Geschichten behalte ich einfach für mich und trage sie in den nächsten Jahren mit mir rum wie kleine Anhänger an meinem Armband. Der gestrige Abend endete in der Hotelbar des Arosa und Neal verstreute noch einige Kontaktbögen und Negative aus den 70ern und 90ern über den Tisch. Ich hatte einen hochroten Kopf, kam aus dem Lächeln nicht mehr heraus und begann nur noch ungläubig mit dem Kopf zu schütteln. Er schenkte mir einen Testprint von einer seiner Aufnahmen aus dem Jahr 1977. Led Zeppelin in Detroit, während der Performance von „Achilles Last Stand“. Er nahm einen Sharpie aus seiner Tasche und begann am oberen Rand ein paar Worte zu kritzeln. Jetzt ist es halb fünf am Morgen, etwa sechs Stunden später. Ich muss gleich zur Arbeit. Doch ein bisschen genieße ich noch die Musik und blicke auf dieses für Neal wahrscheinlich unbedeutende Geschenk. Das vielleicht eine der schönsten Erinnerungen aus diesen Jahren für mich werden wird. Ich überlege, ob ich das hier morgen überhaupt veröffentlichen soll. Vielleicht bin ich ein bisschen zu emotional gerade. Aber andererseits hat Lester Bangs mir die Frage ja schon beantwortet im Film, also hoffe ich, dass ihr mir meine Gefühlsduselei nachseht.

“The only true currency in this bankrupt world is what you share with someone else when you’re uncool.” – Lester Bangs

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