Jede Wohnung hat ihren eigenen Sound. Der setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: den Geräuschen der Nachbarn, die direkt mit einem im Haus wohnen, den Wasserleitungen, den Glockenschlägen des Doms in der Nähe. Seit etwas mehr als einem Monat wohne ich jetzt in der Altstadt Paderborns und gewöhne mich noch an den ganz ungewohnten Sound in meinem Kiez. Besonders jetzt, bei der absoluten Hitze, die auch in der Nacht noch in der Luft steht wie eine lauwarme Seifenblase, und wir die Fenster zu unserem Schlafzimmer geöffnet lassen, besonders jetzt hören wir und spüren wir den neuen Sound in unserem Viertel.
Da sind außer den regelmäßigen Schlägen der Domglocken noch die rauschenden Gespräche der Menschen, die vor den Kneipen und Cafés sitzen, durchbrochen von einzelnen Lachern, Brüllern und Geschirrgeklimper. Direkt unter unserer Wohnung, im selben Haus, hat die christliche Teestube bis etwa elf Uhr geöffnet. Doch obwohl das Treiben dort eigentlich am ehesten hören müssten, ist es nur Stille, manchmal leise Stimmen und höflicher Applaus, den man hört. Als versteckten sie irgendetwas vor der Welt draußen vor ihrer braunen Eingangstür.
Ein paar Häuser weiter hört ein Junger Mann an manchen Abenden traurige türkische Musik, wobei ich nicht weiß, ob sie wirklich türkisch ist, sie klingt bloß so, wie ich mir türkische Musik vorstelle. Die lang gezogenen Vokale und weichen D´s und J’s, die Töne, die meist von Frauen gesungen werden, beruhigen mich in einer komischen Art und ich fühle mich merkwürdig heimisch und fremd.
Ein paar hundert Meter weiter fließt die Pader durch das Quellgebiet und wenn alle anderen Geräusche verstummt sind, hört man das Wasser und gelegentlich einige Enten, die in der Nacht von Ader zu Ader wandern. Dann wieder Gelächter und Gespräche von Schlaflosen, die spät von einer Veranstaltung kommen oder einfach die Zeit vergessen haben. Wir hören Unterredungen verstummen und plötlich wütend aufbrechen. Junge Paare, am Anfang oder am Ende ihrer Beziehung. Alte Paare, die beides bereits hinter sich gelassen haben.
Und es duftet nach der Kohle, die in den Restaurants ausglüht, nach den Autos, die am nächsten Tag wieder angeworfen werden und nach einem unsicheren Versprechen. Welche Geschichten wird dieses neue Leben bringen. Und welche nicht?