Im Traum wie eine Ewigkeit

Ein Traum (vor New York): Ich stehe im obersten Stock eines der höchsten New Yorker Hochhäuser und starre aus dem Fenster über die Stadt. Der Fußboden ist bedeckt von aufgeschlagenen, wild über- und durcheinander geworfenen Ordnern. In keinem Dieser Ordner könnte man auch nur ein weiteres Blatt abheften, so sehr platzen sie schon aus ihren Nähten. Sie sind voll von beschriebenen Blättern, manche von diesen Blättern sind so klein beschrieben, dass man kaum noch weiße Stellen darauf entdeckt. Zwischen den Ordnern liegt eine braune abgewetzte Ledertasche von einer italienischen Marke, die ich nicht genau entziffern kann. Die Tasche scheint leer zu sein, doch in meinem Traum werfe ich nur einen kurzen Blick auf sie. Die Wände hinter und neben mir sind dunkel und nicht zu erkennen, vor allem was hinter meinem Rücken liegt ist verschwommen, bis auf eine große schwarze Tür am anderen Ende des Raumes hinter meiner linken Schulter. Der Duft von antikem Holz und neuem Leder liegt wie ein unsichtbarer Nebel in der Luft. Doch das alles ist nur eine Momentaufnahme, vielleicht eine Sekunde meines Traumes.
Im nächsten Moment gerät das komplette Gebäude aus den Fugen. Ohne jegliches Geräusch scheint der gesamte Wolkenkratzer wie ein gewaltiger Dominostein vornüber zu kippen. Ich kann meinen Blick nicht dem Fenster abwenden. Ich erkenne bald, dass die unteren Stockwerke von diesem Treiben gänzlich unbetroffen sind. Das Gebäude verneigt sich vor der erdrückenden Wand der anderen Mauerwerke der Stadt. Ich falle direkt auf die Fensterscheiben die jetzt nicht mehr vor mir, sondern unter mir liegen und werde von der Masse der mich begrabenden Ordner an das Glas gepresst. Langsam und doch unaufhaltsam nähert sich mein Stockwerk dem Asphalt einer ausgestorbenen Hauptstraße der New Yorker Innenstadt. Etwa zehn Meter bevor ich mit dem Fenster auf die Straße treffe, beginnt das Glas unter mir ohrenbetäubend zu knacken, außer diesem Knacken, kommt in diesem Traum bis zu diesem Zeitpunkt kein einziges Geräusch vor. Es wird innerhalb weniger Sekunden so laut, das ich meine Hände von der Scheibe nehme um mir die Ohren zuzuhalten. In diesem Moment splittert die Scheibe unter mir. Erschrocken versuche ich mir Halt zu verschaffen, doch meine Hände greifen ins Leere. Stille kehrt ein. Ich sehe wie die Scherben geräuschlos auf der Straße zerschellen. Einige Sekunden vergehen. Unter mir ist nichts was mich eigentlich halten könnte, doch ich stürze nicht gen Asphalt. Einer der Ordner streift schmerzhaft meinen Hinterkopf und fällt dann mit einer Wucht zu Boden, als wäre er aus hundert Metern gefallen. Die Blätter wirbeln kurz auf und segeln dann zu Boden. Diesem Ordner folgen auch die anderen. Es sind Unmengen. Auf dem Boden des Büros war mir nicht aufgefallen wie viele es wirklich wahren. Erdrutschartig gehen sie alle zu Boden und eine enorme Wolke bekritzelter Blätter steigt auf. All dies geht ohne jegliches Geräusch vor sich. Die Blätter scheinen die ganze Stadt zu bedecken. Ich schaue nach rechts und links die Straße entlang und kann über hunderte von Metern keinen Flecken Asphalt erkennen. Fasziniert von diesem schwarz-weißen Meer bemerke ich erst nicht, dass die Tür hinter meinem Rücken nun offen steht. Sie wiegt in den Angeln hin und her und der Türknauf stößt bei jedem Schwung gegen die Wand, so dass er ein dumpfes, unrhythmisches Klopfen verursacht. Nach einer Zeit, die mir im Traum wie eine Ewigkeit vorkommt blicke ich über meine Schulter nach oben und sehe die offene Tür. Ich versuche mich umzudrehen und das über mir liegende Bein meines Schreibtisches zu greifen, doch da ich mit meinen Füßen keinen Halt finde, kann ich es nicht erreichen. Das Gebäude beginnt sich zurück in seine ursprüngliche Position aufzurichten. Nun fühlt es sich an als würde ich aus dem Fenster stürzen, doch es kommt mir nur so vor, da es sich von mir entfernt und ich bleibe einfach wie schwerelos in der Luft hängen.

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